Die Eissphinx
Rücken über das offene Meer hinauf nach Norden zu fahren. Da das Boot jedoch höchstens elf bis zwölf Mann tragen konnte, hätten wir loosen müssen. Die aber, die es dann nicht mit hinwegführte, waren so gut wie verurtheilt, wenn nicht durch Hunger, so doch durch Kälte auf einem Lande umzukommen, wo ein überaus strenger Winter seine Herrschaft sehr bald antreten mußte.
Trieb der Eisberg dagegen in der bisherigen Richtung weiter, so legten wir einen großen Theil unseres Weges unter recht annehmbaren Bedingungen zurück.
Unser Fahrzeug aus Eis konnte freilich auch verloren gehen, konnte von neuem stranden, selbst noch einmal umstürzen oder in eine Gegenströmung gerathen, die es auf seinem Wege wieder rückwärts trieb, während das Boot, gegen den Wind anlaufend, wenn dieser ungünstig wurde, uns hätte bis ans Ziel bringen können, vorausgesetzt, daß es von schwerem Sturm verschont blieb und die Packeiswand ihm die Durchfahrt gestattete.
Doch, wie Jem West eben gesagt hatte, war es angezeigt, über jene Möglichkeiten lange zu verhandeln?
Nach dem Essen begab sich auch die Mannschaft nach dem höchsten Eisblocke, wo Dirk Peters noch immer stand. Bei unsrer Annäherung stieg der Mestize an der anderen Seite des Abhangs hinab, und als ich oben ankam, konnte ich ihn nicht mehr erblicken.
Wir waren jetzt also Alle hier vereinigt, außer Endicott, der seinen Kochofen nicht gern verließ.
Das im Norden sichtbare Land zeigte, ein Zehntel des Horizonts einnehmend, ein Ufer mit flachem Strande, mehrfachen Einschnitten und hervortretenden Spitzen, während sich weiter nach rückwärts hohe, ziemlich entfernte Hügel vom Himmelsgrunde deutlich abhoben. Da lag vor uns also ein Festland oder wenigstens eine recht ausgedehnte Insel.
Nach Osten hin dehnte sich das Land über Sehweite hin aus und es schien mir nicht so, als ob seine äußerste Grenze nach dieser Seite hin läge.
Im Westen bildete ein spitzes Cap, überragt von einem Hügel, dessen Silhouette einem ungeheueren Robbenkopfe ähnelte, das letztsichtbare Ende. Darüber hinaus schien wieder das unbegrenzte Meer zu liegen.
Gewiß war jetzt keiner unter uns, der nicht über die augenblickliche Lage nachdachte. Dieses Land anzulaufen, das hing nur von der Strömung, nur von dieser allein ab; entweder führte sie den Eisberg nach einer Brandung, die ihn an der Küste fest hielt, oder sie trug ihn nach Norden weiter.
Welche Hypothese war nun annehmbarer?
Der Kapitän Len Guy, der Lieutenant, der Hochbootsmann und ich standen wieder im Gespräch bei einander, während die Mannschaften in einzelnen Gruppen ihre Ansichten über dieses Thema austauschten. Schließlich bemerkten wir, daß uns die Strömung nach dem Nordosten jenes Landes hinführte.
»Alles in Allem, sagte der Kapitän Len Guy, scheint mir das Land, wenn es auch die Sommerzeit hindurch bewohnbar sein mag, doch keine seßhaften Bewohner zu haben, da wir keinen Menschen am Uferlande sehen.
– Vergessen wir nicht, Kapitän, daß der Eisberg natürlich nicht die Aufmerksamkeit so erregt, wie es unsere Goëlette gethan hätte.
– Zugegeben, Herr Jeorling, die »Halbrane« würde schon Eingeborene herangelockt haben… wenn es hier solche giebt!
– Daraus, daß wir keine sehen, Kapitän, dürfen wir doch noch nicht schließen…
– Nein, gewiß nicht, unterbrach mich der Kapitän Len Guy. Sie werden mir aber zugeben, Herr Jeorling, daß das Aussehen dieses Landes nicht dem der Insel Tsalal gleicht, als die »Jane« an dieser gelandet war. Dort zeigten sich grünende Hügel, dichte Wälder, blühende Bäume, ausgedehnte Weideflächen… hier sieht man auf den ersten Blick nichts als Verlassenheit und Unfruchtbarkeit.
– Das bestreite ich nicht, Verlassenheit und Unfruchtbarkeit, weiter zeigt das Land nichts. Ich möchte aber doch fragen, Kapitän, ob es nicht Ihre Absicht ist, hier einmal ans Ufer zu gehen?
– Etwa mit dem Boote?
– Ja, mit dem Boote, wenn die Strömung unseren Eisberg wegführen sollte.
– Wir haben keine Stunde zu verlieren, Herr Jeorling, und einige Tage Verzögerung könnten uns zu einer grausamen Ueberwinterung zwingen, wenn wir zu spät kommen, um die noch offenen Stellen des Packeises zu passieren….
– Und da letzteres noch recht fern von uns liegt, haben wir jetzt keinen Vorsprung, bemerkte Jem West.
– Das geb’ ich zu, erwiderte ich, an meiner Anregung festhaltend. Sich aber von diesem Lande zu entfernen, ohne es zu betreten, ohne uns überzeugt zu
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