Die Eissphinx
die der andern zweiunddreißig – zusammen siebzig – Köpfe betragen. Die Fahrt der »Halbrane« war aber, wie wir wissen, zur Erfüllung einer Pflicht der Menschlichkeit unternommen worden, und dieser verdankten wirklich vier Ueberlebende von der »Jane« ihre Rettung.
Eilen wir nun zum Schlusse. Ueber die Rückfahrt, die fortdauernd von der Strömung und dem Winde begünstigt wurde, brauche ich mich kaum zu verbreiten. Die Aufzeichnungen, die zur Zusammenstellung meines Berichtes dienten, wurden weder in einer Flasche verschlossen ins Meer geworfen, noch zufällig irgendwo aus antarktischem Gewässer aufgefischt. Ich habe sie selbst mit heimgebracht, und obwohl der letzte Theil der Fahrt mit größter Anstrengung, mit trauriger Entbehrung und mannigfachen Gefahren verbunden war und uns stets in Angst und Unruhe schweben ließ, so endete die Reise doch mit unserer glücklichen Rettung.
Und dazu war anfangs, einige Tage nach der Abfahrt vom Sphinx-Lande, die Sonne nun unter dem Horizonte verschwunden, über dem sie den ganzen Winter hindurch nicht wieder auftauchen sollte.
Inmitten der Halbfinsterniß der südlichen Winternacht setzte die »Paracuta« also ihre eintönige Fahrt fort. Zum Glück erfreuten uns öfters glänzende Südlichter, die wundervollen Meteore, die Cook und Forster 1773 zum erstenmale beobachtet hatten. Welche Pracht bei der Entwicklung ihrer leuchtenden Bogen, ihrer Strahlenbündel, die sich einmal verkürzen und dann wieder verlängern, welcher Glanz der scheinbar reichgefalteten Draperie um diese, der mit überraschender Schnelligkeit zu-oder abnimmt, während die ganze Erscheinung nach dem Punkte des Himmels convergiert, nach dem die Nadel der Inclinationsboussole hinweist! Welche zauberische Wandelbarkeit auch in den vorspringenden und den zurücktretenden Lichtbüscheln, deren Färbung von Hellroth bis Smaragdgrün wechselt!
Ja.. es war aber doch nicht die Sonne, nicht das unersetzbare Gestirn das während der Monate des antarktischen Sommers uns den Horizont ununterbrochen beleuchtet hatte. Die lange Polarnacht übt auf Geist und Körper einen Einfluß aus, dem sich niemand zu entziehen vermag, sie bringt einen belästigenden, ja verderblichen Eindruck hervor, dem man nur schwer entgehen kann.
Von den Passagieren der »Paracuta« waren es nur der Hochbootsmann und Endicott, die, unempfänglich gegen jede Langeweile und gegen die Gefahren dieser Fahrt, ihren gewöhnlichen Humor behielten. Auch der sich immer gleichbleibende Jem West bildete eine Ausnahme; er blieb stets bereit, jeder Widerwärtigkeit entgegenzutreten, wie ein Mann, der immer zur Vertheidigung bereit ist. Die beiden Brüder Guy aber vergaßen über das Glück, sich wiedergefunden zu haben, manchmal alle Befürchtungen, die ihnen die nächste Zukunft doch einflößen mußte. Wahrlich, ich kann dem wackeren Manne, unserem Hurliguerly, des Lobes gar nicht genug spenden; man erholte und verjüngte sich ordentlich, wenn er mit Vertrauen erweckender Stimme rief:
»O, wir kommen noch glücklich nach dem Hafen, liebe Freunde, wir kommen schon noch an!… Wenn Sie Alles gegeneinander abwägen, müssen Sie zugeben, daß wir während unserer Reise doch mehr Glück als Unglück gehabt haben! Ich weiß ja… wir haben unsere Goëlette eingebüßt!… Arme »Halbrane«, erst in die Luft emporgehoben wie ein Ballon und dann wie eine Lawine in die Tiefe gestürzt! Als Ersatz dafür hat uns aber der Eisberg bis an eine Küste getragen, und ist uns das tsalalische Boot mit dem Kapitän William Guy und seinen drei Gefährten zugetrieben worden. Vergessen Sie auch nicht die Strömung und die Brise, die uns bis hierher gebracht haben und noch weiter bringen werden!… Mir scheint es doch, daß die Bilanz für uns günstig liegt. Mit so viel Trumpf in der Karte kann man das Spiel nicht gut verlieren!… Das einzig Mißliche ist, daß wir in Australien oder Neuseeland landen werden und nicht gleich an den Kerguelen, neben dem Quai von Christmas-Harbour, gegenüber dem »Grünen Cormoran«, vor Anker gehen können!«
Das war freilich verdrießlich für den Freund des Meister Atkins, ein ärgerlicher Ausgang der Fahrt, mit dem wir Uebrigen uns jedoch leicht abzufinden hofften.
Acht Tage lang ging die Fahrt in gleicher Richtung ohne jede Abweichung nach Westen oder Osten weiter, und erst am 21. März kam der »Paracuta« Halbrane-Land an Backbord außer Sicht.
Ich gebrauche für das Land noch immer diesen Namen, weil sich sein Ufer bis
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