Die Eissphinx
geheimnißvollen Gegend steuern sollte? War sie nicht darauf angewiesen, möcht’ ich sagen, ins Blaue hinaus zu segeln?
Dann gab es noch eine andere Schwierigkeit: Würde die Mannschaft der »Halbrane« zustimmen, die Gefahren einer solchen Seereise ins Unbekannte auf sich zu nehmen, noch weiter nach dem Pole zu hinauszudringen und dann vielleicht auf einen unüberwindlichen Eiswall zu treffen, wenn es sich darum handelte, die Gewässer Amerikas oder Afrikas wieder zu erreichen?
Noch einige Wochen und der antarktische Winter mußte ja mit seinem Gefolge von Sturm und Frost hier wieder einziehen. Das jetzt thatsächlich offene Meer würde über und über zufrieren und ganz unfahrbar werden. Mußte es nicht die Muthigsten zurückschrecken, sieben bis acht Monate lang im Eise eingeschlossen zu sein, ohne die Aussicht, irgendwo landen zu können? Hatten die Vorgesetzten unserer Leute das Recht, deren Leben aufs Spiel zu setzen auf die ganz unsichere Hoffnung hin, die auf der Insel Tsalal nicht gefundenen Ueberlebenden von der »Jane« zu retten?
Das mochte der Kapitän Len Guy seit dem Vortage erwogen haben. Mit gebrochenem Herzen und ohne jede Aussicht, seinen Bruder und seine Landsleute aufzufinden, hatte er deshalb mit vor Erregung zitternder Stimme befohlen:
»Morgen in aller Frühe absegeln!«
Meiner Empfindung nach brauchte er ebensoviel moralischen Muth, jetzt umzukehren, wie er durch eine weitere Fortsetzung der Fahrt bewiesen hätte. Jetzt hatte er aber seinen Entschluß gefaßt, und er wußte gewiß auch den unsagbaren Schmerz zurückzudämmen, den ihm der Mißerfolg unserer Reise bereitete.
Ich selbst empfand, offen gestanden, etwas wie eine wirkliche Enttäuschung darüber, daß unsere Fahrt ein so betrübendes Ende nehmen sollte. Nachdem ich einmal so fest mit den Schicksalen und Zielen der »Halbrane« verwachsen war, hätte ich gewünscht, daß die Nachforschungen fortgesetzt würden, so lange dazu in diesem unwirthlichen Erdenwinkel eine Möglichkeit vorlag.
Wie viele Seefahrer an unserer Stelle hätten sich jetzt entschlossen, das geographische Problem des Südpols zu lösen! Die »Halbrane« befand sich ja schon »weiter oben«, als die Schiffe Weddells und Arthur Pym’s gelangt waren, da die Insel Tsalal weniger als sieben Grade von dem Punkte entfernt lag, wo sich die Erdmeridiane kreuzen. Kein Hinderniß schien sie davon abzuhalten, auch die allerhöchste Breite zu erreichen. Dank der ausnehmend günstigen Witterung, führten Winde und Strömungen sie vielleicht nach dem Endpunkte der Erdachse, von dem sie nur noch vierhundert Seemeilen entfernt war. Reichte das offene Meer bis dahin, so war das das Werk weniger Tage; dehnte sich dort ein Festland aus, so bedurfte es vielleicht einiger Wochen… In der That dachte aber niemand der Unserigen an den Südpol, und um dessen Entdeckung willen hatte die »Halbrane« den Gefahren des Antarktischen Oceans nicht Trotz geboten!
Auch angenommen, der Kapitän Len Guy hätte bei dem Wunsche, seine Nachforschungen fortzusetzen, die Zustimmung Jem West’s, des Hochbootsmanns und der alten Mannschaft gefunden, so war es noch gar nicht ausgemacht, daß er die zwanzig auf den Falklands neuangeworbenen Leute, deren Mißstimmung der Segelwerksmaat Hearne eifrig unterhielt, zu dem gleichen Entschlusse bewegen könnte.
Nein, der Kapitän Len Guy konnte sich unmöglich auf diese Leute – die Mehrheit der Mannschaft – verlassen, die er schon bis zur Höhe der Insel Tsalal hinausgeführt hatte. Sie hätten es sicherlich verweigert, noch höher in die antarktischen Gewässer mit hinauszugehen, und das bildete gewiß einen der Gründe, die unseren Kapitän veranlaßten, wieder nach Norden zu steuern, und das trotz des quälenden Schmerzes, den er dabei empfinden mochte.
Wir betrachteten unsere Hinfahrt also als beendet; wer beschreibt aber unsere Ueberraschung, als wir da die Worte vernahmen:
»Und Pym?… Der arme Pym?«…
Ich drehte mich um.
Hunt war es, der sie gesprochen hatte.
Regungslos am Deckhause stehend, verschlang der seltsame Mann den Horizont mit den Blicken.
Wäre dieser Mann Dirk Peters in eigener Person gewesen… (S. 238.)
An Bord der Goëlette war man so wenig gewöhnt, die Stimme Hunt’s zu vernehmen – vielleicht waren das überhaupt die ersten Worte, die er seit seiner Einschiffung in Aller Gegenwart gesprochen hatte – daß schon die Neugierde die Mannschaft zu ihm hintrieb. Sein ganz unvermuthetes Auftreten schien –
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