Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
existiert hat«, sagte er aufgebracht zu Ruwen während einer ihrer Zusammenkünfte, die der Erörterung der politischen Lage dienten.
»Er tat dies, um das Elbenreich zu schützen und ihm den Frieden zu sichern«, verteidigte Ruwen ihren Sohn.
»Nein, er tat dies, weil er nicht abwarten konnte, bis er Herrscher des Elbenreichs wird. Er tat dies, weil die Leidenschaft für eine Rhagar-Prinzessin jegliche Spur von Verstand aus seinem Geist getilgt hat!« Sandrilas atmete tief durch. »Ich mache mir die größten Vorwürfe, weil ich auch noch dazu beitrug, dass sich alles so entwickelt hat.«
»Wolltet Ihr das denn nicht?«
»Ein Bündnis mit Aratan wollte ich! Und vielleicht eine Kompanie elbischer Einhandschützen an der norischen Grenze, die unserer Sicherheit gedient hätten! Meinetwegen auch einen Flickenteppich von unabhängigen Rhagar-Staaten in einem Vasallenstatus zum Königreich Elbiana! Aber doch nicht ein Rhagar-Großreich, das von einem langlebigen Elbenherrscher regiert wird!«
»Könnte nicht genau darin die Möglichkeit eines langfristigen Friedens zwischen Rhagar und Elben liegen?«
Sandrilas lächelte matt. »Was Euren Sohn betrifft, scheint Ihr eine unverbesserliche Optimistin zu sein, meine Königin. Aber das ist die Sicht einer Mutter, und wenn Ihr vollkommen ehrlich zu Euch selbst seid, so steht diese Einschätzung im Widerspruch zu Euren Befürchtungen als Königin.
Befürchtungen, die Ihr in Eurem tiefsten Inneren hegt, richtig?«
Ruwen senkte den Blick, um Sandrilas nicht in die Augen schauen zu müssen. Auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, so musste sie ihm insgeheim doch recht geben. Ja, sie hatte düstere Ahnungen, die sich nicht leugnen ließen.
»Es wird Zeit, dass der König zurückkehrt«, sagte Sandrilas.
Ruwen blickte wieder auf und strich sich eine verirrte Strähne ihres seidigen Haars aus der Stirn. »Wem sagt Ihr das, werter Prinz Sandrilas. Wem sagt Ihr das…«
Es war kein Zufall, dass die Königin ihren Sohn Andir später in der »Halle der vier Sphären« traf. Sie hatte gespürt, dass er dort war, und war deshalb dorthin geeilt.
Seit seiner Rückkehr aus dem selbst gewählten Exil in den Bergen Hoch-Elbianas hatte Andir kaum ein Wort zu irgendwem gesprochen. Ruwen war sich sicher, dass ihm etwas Außergewöhnliches widerfahren war. Er hatte in der Einsamkeit sich selbst finden wollen, doch offenbar war er auf etwas ganz anderes gestoßen. Außerdem musste die Tatsache, dass er nach Elbenhaven zurückgekehrt war, kurz nachdem dieses schreckliche Gefühl bezüglich ihres anderen Sohnes und eines schrecklichen Geschehens in der Zukunft Ruwen aus dem Schlag gerissen hatte, etwas bedeuten, davon war die Königin überzeugt. Ein Schicksalsmuster zeichnete sich ab, und jeder, der auch nur einen schwach entwickelten Sinn dafür hatte, musste das erkennen.
»Was ist geschehen, Andir?«, fragte sie ihren Sohn.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr sofort Antwort geben würde, aber er sagte frei heraus: »Mir ist der Geist Brass Elimbors erschienen. Er benutzte eine hoch-elbianitische Riesenraubkatze, um zu mir zu sprechen. Seine Weisheit und seine Gedanken flossen in meinen Geist, und da dieser nicht alles fassen konnte, ließ er sie auch in die Speicherkristalle fließen, die ich bei mir trug.« Er hob den Blick und sah seine Mutter direkt an. »Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen, Mutter.«
»Liegt das an der Komplexität dessen, was du mir sagen willst?«, fragte sie. »Du solltest die geistigen Fähigkeiten deiner Mutter nicht unterschätzen.«
»Nein, es hängt damit zusammen, dass es eine Wahrheit gibt, die einen schaudern macht, und dass sich ein Weg in die Zukunft zu formen beginnt, der in den Abgrund führen könnte.«
»Diese Ahnungen sind mir nicht fremd, Andir, und die Empfänglichkeit dafür scheinst du von mir geerbt zu haben.«
Andir begann auf und ab zu gehen und sagte: »Das Wissen, das Brass Elimbor mir zukommen ließ, ist zu umfangreich, um es ganz erfassen zu können. Dafür braucht es viele Jahre, vielleicht Jahrhunderte. Aber einiges habe ich begriffen. So vermag Brass Elimbor offenbar in einer Zwischensphäre zu existieren, in der die Zeit nicht so verläuft wie in der unseren.
Vergangenheit, Zukunft, der Raum, die Kausalität, Ursache, Wirkung – das alles stellt sich dort anders dar. In dieser Sphäre lassen sich Dinge von ihrem Ziel und nicht von ihrem Ursprung aus erklären, und es ist möglich, den Blick in eine
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