Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
sich durch dieses Ereignis geändert.
»Hätte es anders kommen können zwischen uns?«, fragte Andir.
Magolas zuckte mit den inzwischen breit gewordenen Schultern. Er blickte hinaus auf die schäumende See und zögerte mit einer weiteren Antwort. Der Wind strich ihm durchs Haar, und um seine Mundwinkel bildete sich ein Zug, der die innere Versteinerung widerspiegelte, die zwischen ihnen all die Jahre geherrscht hatte. »Nein«, murmelte er schließlich. »Ich glaube, wir waren Gefangene eines Schicksals.«
»Wer bestimmt dieses Schicksal?«
»Unser Vater war überzeugt davon, dass er selbst das Schicksal der Elben seit ihrer Ankunft im Zwischenland erschuf, weil er das alte Geschick mit der Macht seines Schwerts Schicksalsbezwinger zerschlug.«
»Aber du bezweifelst, dass es so war?«
»Ich frage mich, ob es nicht einfacher wäre, auf das Schicksal zu verweisen.«
»Es nimmt einem die Verantwortung für die eigenen Taten.«
»Richtig.« Magolas wandte den Kopf. »Aber vielleicht waren wir in diesem Fall tatsächlich willenlos dem Schicksal ausgeliefert, das unser Vater schuf. Doch ob er es noch in der Hand hat, ist eine andere Frage…«
Das tiefe Verständnis zwischen ihnen hatte in all den Jahren nicht gelitten, wie Andir feststellte. Noch immer brauchte sein Bruder nicht auszusprechen, was er eigentlich sagen wollte.
Ein Blick reichte aus. Es war das Seelendunkel, ein finsterer Kern im tiefsten Inneren der Persönlichkeit, das Keandir seit seiner Rückkehr von Naranduin anhaftete und das er zumindest auf Magolas übertragen hatte.
»Wie ist es mir dir?«, fragte Magolas. »Hast auch du in der Zwischenzeit die Finsternis in dir bemerkt?«
»Nein«, sagte Andir. Sein Tonfall klang auf einmal härter und abweisender.
»Du hast es nur noch nicht entdeckt. Vielleicht schaffst du es sogar, deine eigenen Sinne zu betrügen. Aber eines Tages wirst du erkennen, dass auch du nicht frei bist von diesen Kräften.«
»Es gibt kein Anzeichen dafür«, erwiderte Andir schroff, offenbar wenig geneigt, auf dieses Thema weiter einzugehen.
»Diese Dunkelheit ist wahrscheinlich die Quelle jener Kraft, mit der unser Vater die seit Ewigkeiten grassierende Agonie der Elben durchbrechen und ein Reich errichten konnte, wie es in der Geschichte unseres Volkes noch nicht existiert hat.
Diese Dunkelheit der Seele ist zweifellos auch ein Grund für meine Kraft und mein magisches Talent.« Er schaute Andir direkt an, bevor er fortfuhr. »Und ausgerechnet du, der du der mit Abstand fähigste Magier bist, den die Elben seit Jahrtausenden hervorgebracht haben, du willst mir weismachen, dass du völlig unabhängig von der Kraft bist, die deinen Vater und mich vorantreibt?«
»Es ist eine Kraft der Finsternis«, stellte Andir fest. »Ich möchte nichts damit zu tun haben.«
»Vielleicht wirst du es dir nicht aussuchen können.«
»Unser Vater hat mir das vor vielen Jahren prophezeit. Aber nichts davon ist eingetreten.«
Magolas spürte, dass er in diesem Punkt bei seinem Bruder auf Granit biss. Andir wollte sich nicht eingestehen, dass auch er keineswegs gegen die innere Dunkelheit gefeit war. Aber Magolas wollte deshalb den alten Streit zwischen ihnen nicht erneut vom Zaun brechen. Darum wechselte er das Thema, indem er fragte: »Weißt du noch, wie wir als Jungen die Zauberstäbe des Augenlosen Sehers genommen und damit gegeneinander gekämpft haben?«
»… und damit die Albtraumvision unserer Mutter erfüllten!«
»Jetzt hat Vater diese Artefakte weggeschlossen, statt sie zur Verteidigung Elbianas zu nutzen.«
»Eine Entscheidung, für die ich ihn nur bewundern kann«, erklärte Andir. »Gerade zu jener Zeit, als der Eisenfürst Comrrm seine Schreckensherrschaft auszubreiten drohte, war die Versuchung sicherlich sehr groß. Vater ist ihr nicht erlegen.«
»Du würdest heute anders sprechen, wäre damals die Abwehr an der Aratanischen Mauer zusammengebrochen und hätten die Rhagar ihren Einfluss bis zum Nur oder sogar darüber hinaus nach Nieder-Elbiana ausgedehnt«, hielt Magolas dagegen.
»Mag sein.«
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen den beiden äußerlich so ähnlichen und doch so ungleichen Brüdern. Magolas lehnte sich mit dem Rücken gegen die dicke Wehrmauer und musterte seinen Bruder.
»Du willst wissen, weshalb ich Elbenhaven verlasse«, stellte Andir fest.
»Elbiana kann auf einen Magier wie dich nicht verzichten.«
»Ich dachte, du wärst froh darüber, wenn ich gehe«, sagte Andir.
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