Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
Ihr meint, dass es eines Tages auch für mich Hoffnung geben könnte?«
»Das ist nicht ausgeschlossen.«
»Wie lange wird es bis dahin dauern? Ein Jahrtausend?«
»In der Alten Zeit in Athranor konnte ein Elb durchaus solange auf die Erfüllung eines Herzenswunsches warten«, erwiderte die Heilerin.
»Dann müssen sich die Zeiten in dieser Hinsicht wohl geändert haben. Oder die See- und Elbiana-Geborenen unter uns sind nicht aus demselben Elfenbein geschnitzt wie die Elben der Alten Zeit.« Rhiagons Züge verdüsterten sich. »Im Übrigen habt Ihr leichtes Reden. Ihr könnt jeden Morgen das Licht des Tages begrüßen.«
»Das ist mir bewusst. Und doch müsst Ihr Euch wohl oder übel mit der Situation arrangieren, wie sie nun einmal ist, solange es noch keine Möglichkeit gibt, dass Ihr voll und ganz gesundet. Man sagt, dass ein fehlender Sinn durch die zunehmende Sensibilität anderer Wahrnehmungen zumindest teilweise ausgeglichen werden kann. Und gerade eben habt Ihr mich sofort erkannt, und so nehme ich an, dass genau dies bei Euch schon eingesetzt hat.«
»Ich will mich in dieser Hinsicht nicht beklagen«, erwiderte Rhiagon. »Ich höre Euren Atem, Euren Herzschlag und das Rascheln Eures Gewandes. Und an Eurer typischen Art zu gehen habe ich Euch bereits erkannt, als Ihr die Treppe emporkamt. Aber heißt das, dass es überflüssig wäre, Euch zu sehen? In der Burg kenne ich mittlerweile jeden Winkel, und selbst in der Stadt Elbenhaven vermag ich mich zurechtzufinden. Doch ihre Mauern zu verlassen, würde ich zurzeit nicht wagen.«
»Ihr werdet diesen Pfad weiterbeschreiten, werter Rhiagon.«
»Möglich. Doch sollte ich mich anders entscheiden, dann ist das mein freier Wille«, entgegnete Rhiagon hart, »und es steht niemandem zu, dies als Krankheit zu bewerten, werte Heilerin.«
»Wenn ich Euch zu nahe trat«, sagte Nathranwen eingeschüchtert, »geschah dies nur aus Fürsorge.«
»Das ist mir bewusst. Aber lasst Eure Fürsorge besser der Königin zukommen. Sie hat sie gewiss nötiger als ich.«
Nathranwen hob verwundert die Augenbrauen. »Wie kommt Ihr darauf, werter Hauptmann?«
»Nennt mich nicht mehr Hauptmann. Das bin ich nur noch dem Rang nach. Ich bin jetzt Rhiagon der Blinde, auch wenn mir gegenüber niemand diese Bezeichnung zu benutzen wagt.
Aber in ihren Gedanken bin ich es, deswegen habe ich auch nichts dagegen, würde man mich so nennen.« Er streckte die Hand Richtung Norden aus.
»Rhiagon der Hauptmann der Einhandgarde wäre jetzt mit des Königs Mannen auf dem Schiff, um die Steine des Magischen Feuers von Naranduin zu holen. Aber Rhiagon der Blinde kann Elbenhaven nicht verlassen und ist ein Gefangener der Dunkelheit.« Abwehrend hob er die Hände, so als befürchtete er, die Heilerin wollte ihm erneut widersprechen.
Dann sagte er: »Was die Königin betrifft, so nehme ich an, dass sie große Sorgen hat.«
Nathranwen runzelte verwirrt die Stirn. War das Gehör des Erblindeten etwa schon in der kurzen Zeit so empfindlich geworden, dass er Gespräche mit angehört hatte, die in einem anderen Raum, ja, in einem ganz anderen Teil der Burg geführt worden waren? Gespräche, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt waren? Als Heilerin wusste Nathranwen, dass die Zeit, die eine solche Anpassung und Neugewichtung der Sinne in Anspruch nahm, bei jedem Elben verschieden war. In den Überlieferungen der Heilerzunft wurde von Fällen berichtet, in denen dies sogar innerhalb weniger Tage geschehen war, auf eine so radikale Weise, dass man es kaum für möglich halten mochte, obwohl die Betreffenden nur die Unterstützung ganz gewöhnlicher Elbenmagie in Anspruch genommen hatten. Mit anderen Worten: Sie hatten keine besonderen Hilfsmittel verwendet, auch keine schwarze Magie benutzt oder die Namenlosen Götter angerufen, die sich in der Alten Zeit noch um die Schicksale der Sterblichen gekümmert hatten.
»Wie kommt Ihr zu Eurer Auffassung hinsichtlich der Königin?«, fragte Nathranwen mit spürbarer Zurückhaltung.
Dennoch – es interessierte sie schon, wie viel von den bedrückenden Gedanken, die Königin Ruwen beherrschten, vielleicht bereits nach außen gedrungen war. In Zeiten, da das Elbenreich um seine Existenz fürchten musste, brauchte das Volk Hoffnung, nicht eine Königin, die in Schwermut versank.
Dass die Fälle von Lebensüberdruss wieder zugenommen hatten, war kein Zufall.
»Ich habe sie kürzlich auf einem der Türme getroffen«, erzählte der blinde Rhiagon.
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