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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Nemirowski
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sich die Gallier und Iberer zur Flucht. Da sie sich mitten im Kampfgetümmel befanden, wußten sie nicht, was rechts und links von ihnen geschah, und glaubten, daß die ganze Armee den Rückzug angetreten hätte. Verfolgt wurden sie von Schwertspitzen, die sich unerbittlich auf sie richteten, und von Männern, die buchstäblich über Leichen gingen. Alles ist verloren! dachte Dukarion entsetzt. Unsere Todesstunde hat geschlagen!
    Doch plötzlich stockte der römische Vormarsch. Die schnurgeraden Schwertreihen wurden unregelmäßig, lösten sich auf, wogten zurück. 
    Es geschah das, was nur Hannibal vorausgesehen hatte. Die fliehenden Gallier und Iberer hatten die Römer nach sich gezogen - mitten hinein in das karthagische Heer. Die Afrikaner, Hannibals Stolz und Zuversicht, hatten Schulter an Schulter eine halbe Wendung vollführt, so daß ihre Schwerter sich nun gegen die Flanken der angreifenden und von ihrem Sieg schon überzeugten Römer richteten. Die karthagische Schlachtordnung glich jetzt einem Halbmond, der mit den Spitzen zusammenstieß und die Römer in einer bedrohlichen eisernen Umklammerung einschloß.
    Aber die Römer besaßen an der linken Flanke noch ihre Kavallerie. Sie hätte die Umklammerung an einer Stelle sprengen und sie mit kurzen, kraftvollen Schlägen in einzelne Teile zerhacken können. Doch statt dessen sprangen die Römer aus dem Sattel. Aus Pflichtgefühl und Kameradschaftsgeist wollten sie ihre Infanteristen nicht im Stich lassen und vergaßen dabei, daß sie in dieser Lage viel wirksamer zu Pferde hätten kämpfen können.
    Als Hannibal sah, daß die Römer absaßen, hob er die Hände zur Sonne, die sich schon gen Westen neigte.
    „O Melkart!" rief er. „Ich danke dir, daß du die Feinde ihres Verstandes beraubtest und sie mir mit gebundenen Händen und Füßen überlieferst!"
    Kurz darauf war das römische Heer endgültig umzingelt. Es verwandelte sich in eine wehrlose Menge um ihr Leben bangender Menschen, die keinen Befehl mehr befolgten und nur dorthin strebten, wo sie dem Tode zu entrinnen hofften. Doch überall stießen sie auf die Lanzenspitzen und Schwerter der Feinde. Das römische Lager auf der rechten Seite des Flusses, wo der Troß und mehrere tausend Legionäre zurückgeblieben waren, hielten sie für die letzte Hoffnung. Aber das Lager lag jenseits des Flusses. Deshalb flohen sie zum Fluß. 
    Publius wurde von ihnen mitgerissen. Mit dem Schwert setzte er sich gegen die Kavalleristen seines eigenen Heeres zur Wehr, die sich rücksichtslos durch die Menschenmassen drängten und nicht darauf achteten, daß ihre Pferde auf die Verwundeten traten.
    Am Fluß sah Publius den Konsul Aemilius Paullus auf einem Stein kauern, die Hände an den Kopf gepreßt. Das Blut sickerte ihm durch die Finger und tropfte auf seine Toga. Publius stürzte zu ihm hin und versuchte, ihn aufzurichten. Aber Aemilius schob ihn zurück. 
    „Laß das!" ächzte er. „Vergeude nicht deine Zeit mit mir! Melde den Senatoren, daß sie Rom befestigen sollen! Und richte Fabius aus, daß ich seine Ermahnungen getreulich befolgte!"
    „Die Götter brauchen deinen Tod nicht, Aemilius", redete Publius ihm zu. „Du trägst als einziger an diesem Unglück keine Schuld. Gib mir die Hand, ich will dir aufs Pferd helfen!" 
    Aemilius schüttelte den Kopf.
    „Laß mich als Konsul inmitten meiner Soldaten sterben. Das ist besser, als in der Rolle eines Angeklagten vor dem Senat zu stehen." 
    Die letzten Worte hörte Publius nicht mehr. Ein neuer Flüchtlingsstrom trieb ihn von dem Sterbenden weg.
    In der Erkenntnis, daß die Rettung nicht am jenseitigen Ufer zu finden war, wo die feindliche Kavallerie schon auf die Flüchtlinge wartete, sondern im Fluß selber, sprang er in das eiskalte Wasser und schwamm so lange, wie seine Kräfte reichten.
    Über das Schlachtfeld senkte sich die Nacht. Der Mond verschwand hinter den Wolken, als könnte er den entsetzlichen Anblick nicht länger ertragen. Seit er über die Erde wanderte, waren noch niemals so viele Menschen in einer Schlacht ums Leben gekommen. 

    Im Morgengrauen trat Hannibal aus seinem Zelt und blickte zum Schlachtfeld hinüber. Dort lagen die Römer zu Tausenden, Infanteristen neben Kavalleristen, durch den Tod vereint. Einige Verwundete erwachten durch die Morgenkälte aus ihrer Ohnmacht, richteten sich zwischen den Leichenhaufen auf und flehten mit entblößter Brust um den Tod.
    Die Balearer und Gallier gingen einzeln oder in kleinen Gruppen über das

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