Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
in Mathe möchte ich einen Yoda.
„Und in Sport?“, fragte Mona.
„In Sport auch nicht.“
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, außer für Mathe. Das machte mich komplett irre. Manchmal habe ich Ideen, die ich nicht mehr aus meinem Kopf bringe. Ich sage mir dann, denke nicht an XY, aber dann denke ich extra an XY und dann drehe ich total durch und muss eine Stunde mit dem Todesstern durch die Wohnung rasen. Die Idee füllt irgendwann meinen Kopf ganz aus wie hellblaues Wasser ein großes Glas und ich sehe mich dann manchmal Luft schnappen wie ein Fisch. Dann gehe ich zur Schleusenwärterin.
Die Schleusenwärterin ist eigentlich unsere Direktorin. Sie wirkt ganz streng, ist aber ganz nett. „Hinter der Fassade ist sie eigentlich ganz nett“, hat mein Vater nach dem Elternsprechtag gesagt.
„Wofür braucht man eine Fassade, wenn man nett ist?“
„Hm, das ist so. Das wirst Du schon noch verstehen.“
Ich verstehe es aber nicht. Mona wusste es auch nicht. Wir konnten uns gar nicht mehr auf das Filmschauen konzentrieren und sind in Monas Zimmer herumgesprungen wie Wildkatzen. Dann ist Monas Mutter hereingeschossen und hat geschrien.
„Kinder, haltet mal kurz die Schnauze.“
Sie hat aber gleich gelacht und es gar nicht böse gemeint. Sie hat mit einer ihrer Demonstrantenfreundinnen telefoniert und sie nicht verstanden, weil wir so laut waren. Deshalb ist Monas Mutter wie ein Wirbelwind ins Zimmer gekommen. Monas Mutter ist nämlich ein bisschen dick. Nicht schlimm. Aber wenn ich in den Nachrichten einen Film über Amerika sehe, wo es um Tornados geht, dann muss ich immer an Monas Mutter denken. Tornados sind die Stürme mit dem Elefantenrüssel. Deshalb waren Tornados auch Phillipps Lieblingsstürme. Ich stelle mir dann nicht vor, wie der Tornado über die Felder rast, sondern Monas Mutter.
Sie ist ganz groß und dreht sich ganz schnell im Kreis. Wie ein Kreisel. Und plötzlich bricht Monas Mutter dann nach einer Seite aus, dreht sich noch schneller im Kreis und macht alles platt, was sich ihr in den Weg stellt, zum Beispiel Scheunen. Und wenn ihr der richtige Tornado in die Quere kommt, wird Monas Mutter richtig sauer und brüllt: „verpiss Dich“. Der richtige Tornado verpisst sich dann, weil er Schiss vor Monas Mutter hat. Das habe ich aber nicht einmal Mona erzählt.
Nach dem Telefonat ist sie noch mal zu uns ins Kinderzimmer gekommen:
„Also, was ist?“
Sie fragt gar nicht, ob was ist, sie weiß es immer gleich. Bei ihr können wir Kinder auch gar nicht herumeiern, weil Monas Mutter dann sofort sagt:
„Verarscht mich nicht. Raus damit.“
Da haben wir sie wegen der Fassade gefragt. Monas Mutter hat uns erklärt, dass man zwar nett sein soll, aber nicht zu nett, weil man sonst verarscht wird. Deshalb hat unsere Direktorin eine Fassade, ist aber eigentlich ganz nett. Die Fassade braucht sie, wenn sie Herrn Werner in den Arsch tritt, wenn er uns zum Beispiel im Deutschunterricht falsche Worte beibringt, die es gar nicht gibt. Das hat er noch nicht. Aber bestimmt nur deshalb, weil er Angst vor der Direktorin hat.
Ich nenne sie die Schleusenwärterin, weil sie es manchmal schafft, dass das hellblaue Wasser in meinem Kopf abläuft und ich mich beruhige. Wir haben in der Schule nämlich einen Kummerkasten. Aus Sperrholz. Der sieht aus wie ein Zwiebelkasten, ist aber abgeschlossen. Jeder in der Schule kann oben einen Zettel hineinstecken. Auf den Zettel schreibt man einfach, was einen total nervt. Es muss aber etwas mit der Schule zu tun haben. Man kann also nicht darauf schreiben:
„Meine Mutter kauft mir zu wenig Pistazieneis. Das finde ich gemein.“
Der Zwiebelkasten hängt neben dem Büro der Direktorin. Einmal am Tag schließt sie ihn auf und holt die Zettel und liest sie an ihrem Schreibtisch. Außer ihr hat keiner einen Schlüssel zu dem Kasten. Der Trick mit den Zetteln ist, dass man seinen Namen nicht darauf schreibt. Deshalb weiß die Direktorin nicht, von wem die Zettel sind. Man könnte also auch einen Zettel einwerfen, auf dem steht:
„Sie sind eine doofe Kuh, Frau Direktorin. Und mein Vater hat gesagt, dass Sie eine Fassade haben, aber eigentlich ganz nett sind.“
Aber so etwas mache ich nicht, weil sie dann vielleicht den Kummerkasten abschafft. Das wäre doof.
Ich habe einen Zettel eingeworfen, auf dem stand: „Ich möchte Yoda als Mathelehrer, weil Yodas hundertmal so klug sind wie Menschen.“
Natürlich habe ich meinen Namen nicht darunter geschrieben.
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