Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
dass die Erwachsenen alle heimliche Plattensammlungen haben, die sie abspulen wie eine Wurlitzer Musikbox. Manche haben mehr, manche weniger. Vielleicht haben wir bei denen, die weniger haben, auch nur nicht genau genug hingehört.
Ich bin eines Morgens deshalb völlig panisch aufgewacht. Nein, nicht einmal aufgewacht, sondern aus dem Tiefschlaf plötzlich hochgeschnellt. Eine billionstel Sekunde nach dem Tiefschlaf stand ich mit pochendem Herzen neben meinem Bett und konnte mich vor Panik nicht mehr bewegen. Obwohl ich ganz fest wollte, konnte ich weder meine Arme, noch meine Beine kontrollieren. Nichts. Und das bilde ich mir nicht ein.
Eigentlich bin ich ziemlich mutig. Man darf sich zwar nicht selber loben. Aber Mona sagt das auch. Aber obwohl ich eigentlich ziemlich mutig bin und mutige Jungen nicht um Hilfe rufen, habe ich wie am Spieß um Hilfe geschrien. Ganz laut und in Todesangst.
Nicht sofort natürlich. Ich bin ja keine Memme. Was mich so in Panik brachte war, dass mir im Schlaf eingefallen war, dass die Erwachsenen vielleicht gar keine Menschen sind. Ich meine wegen der Platten, die sie wie Maschinen abspielen. Sie erkennen irgendwelche Muster und plappern dann die Worte der passenden Platte. Sie sind dann vielleicht eher so etwas wie Replikanten wie in „Blade Runner“ mit Harrison Ford. Sie kommen alle aus einer Fabrik, haben sogar eine künstliche Erinnerung und eine Vergangenheit und wissen gar nicht, dass sie Maschinen sind. Deshalb gibt es vielleicht gar keine richtigen Menschen, außer mir. Und Mona. Carl zählt nicht, weil er oft so carlish ist. Vielleicht, wenn er mal weniger carlish ist, dann zählen wir ihn mit. Dann sind wir drei. Deshalb ecke ich auch so oft an, nicht weil ich ADS habe, sondern weil mich die Replikanten nicht verstehen.
Ich hatte nach dem Aufwachen den Verdacht, dass alle Menschen, und vor allem meine Eltern, Replikanten sind. Meine Tante Erika sowieso, da gab es gar keinen Zweifel. Aber für meine Eltern tat es mir leid. Deshalb regte ich mich so auf. Wenn ich mich aufrege, ist alles kein Problem, solange ich nur lange genug herumzappeln und mit dem Todesstern durch die Wohnung rennen kann, um mich abzureagieren. Aber genau das ging an diesem Morgen nicht, weil ich am Boden festgefroren war. Deshalb lief mein Fusionsreaktor sofort in den roten Bereich und ich bekam Todes-Panik und schrie um Hilfe.
Mein Vater kam zuerst, dann meine Mutter. Meine Eltern dachten zuerst, das ist eine meiner harmlosen Marotten, aber dann schrie ich total hysterisch, dass ich gelähmt bin und meine Arme und Beine nicht mehr bewegen kann. Meine Eltern gerieten sofort in totale Panik, noch mehr als ich. Mein Vater hob mich hoch und legte mich aufs Bett.
Meine Mutter schoss aus meinem Kinderzimmer und ich dachte, jetzt reicht es ihr und sie macht sich richtig vom Acker mit Hr. Eberhardt. Aber das tat sie nicht, sie rief einen Krankenwagen.
Der Krankenwagen kam nach ungefähr 15 Sekunden, so kam es mir vor, aber ich wollte nicht mit, weil ich am Nachmittag mit Mona Miss Marple ansehen wollte. Außerdem war meine Lähmung schon wieder vorbei. Ich war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber es ging schon wieder. Aber die Erwachsenen sahen das anders und wollten mich auf jeden Fall mitnehmen. Bestimmt gibt es irgendwo ein Leere-Krankenwagen-Gebot. Das bestimmt, dass ein Krankenwagen nicht leer zurückfahren darf. Das heißt, wenn er mit Tatütattaa kommt, dass muss man auch mit.
Aber ich wollte nicht mit. Deshalb habe ich geschrien wie am Spieß, und dann noch zehnmal meinen Rainmain-Schrei losgelassen, bis mir schwarz vor Augen wurde. Trotzdem habe ich gemerkt, wie sie mich auf die Bahre schnallen wollten und ich wild um mich geschlagen und den Sanitäter in den Bauch geboxt habe. Deshalb hat mich schließlich mein Vater zum Krankenwagen getragen und ist mitgefahren.
Dieser ganze Mist im Krankenhaus hat den ganzen Tag gedauert. Im Krankenhaus schuften die verschlagensten Replikanten. Das habe ich leider viel zu spät gemerkt. Als ich nämlich im Krankenhaus völlig ausgerastet bin und herumgeschrien habe, weil ich Miss Marple sehen wollte, kam eine völlig nette Krankenschwester und fragte:
„Magst Du vielleicht ein Pistazieneis?“
Jetzt muss ich vielleicht sagen, dass ich für Pistazieneis alles mache. Ich bin da so wie Molly, wenn man ihr Katzensticks vor die Nase gehalten hat. Ich glaube, für Katzensticks hätte man Molly sogar ein Kleidchen anziehen können. Aber ohne
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