Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
als ich auflegte. Als mein Vater etwas fragte, brachte ich kein Wort heraus und stotterte, so dass sich meine Eltern besorgt anschauten. Und dann tat ich, was Monas Mutter mir geraten hatte. Es kam wirklich alles so, wie sie vorhergesehen hatte.
Eigentlich finde ich es total eklig ins Bett zu pinkeln und dann wie ein Idiot in seinem eigenen Pipi zu liegen. Es kostete mich einige Überwindung. Damit der Plan klappte trank ich ungefähr fünf Liter Mineralwasser, aber im letzten Moment, bevor es losging, sprang ich dann doch immer panisch aus dem Bett und rannte auf die Toilette. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und als es morgen wurde, heulte ich vor Wut, dass ich es nicht schaffte ins Bett zu machen. Dann klappte es plötzlich doch. Ich hatte noch mal so viel getrunken und war so müde, dass ich wegdöste, als ich eigentlich zur Toilette musste. Ich wachte erst auf, als meine Mutter ins Zimmer kam und aufschrie. Als ich die Augen aufmachte, kam gerade mein Vater herein und verzog das Gesicht. Es roch scheinbar ziemlich streng in meinem Kinderzimmer. Ich hatte ganze Arbeit geleistet, meine Mutter heulte und scheuchte mich unter die Dusche.
Dann rief sie wie geplant bei Frau Dr. Müller-Nöllendorf an und eine halbe Stunde später waren wir auf dem Weg. Sie redete lange mit meinen Eltern, bevor sie herein kam. Sie sah mich so seltsam an, dass ich plötzlich Schiss hatte. Vielleicht war doch was nicht in Ordnung.
„Wie geht es dir denn?“
„Schlecht.“
Das war nicht einmal gelogen. Ich durfte nicht mehr zu Mona und war hundemüde. Frau Dr. Müller-Nöllendorf versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber sie war völlig aus dem Häuschen, dass ein Kind in meinem Alter seinen Zustand selber als schlecht einschätzte. Ihre Backen flatterten so stark wie bei Fallschirmspringern, die mit 300 Sachen aus dem Flugzeug fallen.
„Sind Sie immer noch Vegetarierin?“
„Ja, das bin ich“, antwortete sie ganz sanft. Dann ging es eine Weile hin und her und sie stellte so Fragen, die man schon aus Filmen kennt, wenn Leute auf der Couch liegen. Ob mich jemand in der Schule ärgert, ob meine Noten besser oder schlechter geworden sind und solche Sachen.
„Wenn durch diese Türe jetzt eine Fee käme und du dürftest dir eine Sache wünschen, was wäre das?“
„Ich möchte wieder zu Mona gehen.“
„Du möchtest wieder zu Mona gehen, aha. Sagst du mir, wer Mona ist?“
Frau Dr. Müller-Nöllendorf brach unsere Sitzung nach einer halben Stunde ab, schickte mich hinaus und machte in der zweiten Hälfte meine Eltern total zur Schnecke. Ich habe nicht direkt am Schlüsselloch gehorcht und richtig gelauscht, weil heimlich Horchen tut man nicht. Aber ich bin zufällig ganz nahe an der Türe gestanden und habe so alles mitbekommen. Nachdem Frau Dr. Müller-Nöllendorf meine Eltern rundgemacht hatte und ich meine Mutter weinen hörte, sprach sie immer von „wir“. Dass alles auf der Kippe steht und „wir“ jetzt keinen Fehler mehr machen dürfen. Und dass „wir“ uns auch einmal die Rolle von Tante Erika ansehen sollten. Zum Abschied kam Frau Dr. Müller-Nöllendorf mit heraus, tätschelte meinen Kopf wie einem Cockerspaniel und schenkte mir noch „Asterix bei den Briten“.
Sie hielt mich wirklich für ballaballa. Am Nachmittag fuhr mich meine Mutter zu Mona. Dafür durfte Tante Erika vier Wochen nicht mehr zu uns kommen.
16
Unser Besuch bei Serrano ist mir immer wieder durch den Kopf gegangen. Mein Vater verzog am Tisch immer so das Gesicht und hat so getan, als knöpfte er sich das Jackett zu, obwohl es schon zugeknöpft war und räusperte sich wie vor einer Ansprache. Erwachsene sind manchmal wie Plattenspieler, obwohl es fast gar keine Plattenspieler mehr gibt. Damit meine ich, dass sie oft Sachen vor sich hin brabbeln, die sich irgendwie auswendig gelernt anhören. So wie diese blöden Gedichte, die wir in der Schule auswendig lernen müssen. Deswegen hasse ich Gedichte auch, obwohl sie ganz schön sein könnten, wenn ich sie nicht auswendig lernen müsste.
Wenn man einige Erwachsene besser kennt, dann merkt man, dass sie eine Plattensammlung haben, und bei jeder Gelegenheit ziehen sie eine heraus und spielen sie ab. Ich habe Mona gefragt, was sie davon hält. Mona wurde völlig irre und hat vor Aufregung Otto geküsst, versprach aber aufzupassen. Sie rief mich am nächsten Tag an und sagte: „Stimmt“. Mehr haben wir nicht geredet, weil sie zum Sportunterricht musste.
Aber seitdem wissen wir,
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