Die Elementare von Calderon
verschwendete. Die Antworten würde er nicht finden, solange er hier untätig herumstand - er würde nur wärmer werden. Und damit verwundbarer.
Er zählte im Kopf weiter und erreichte fünfhundert.
Tavi hielt den Atem an, bereit, jederzeit zu fliehen, wenn der Plan scheiterte, obwohl die Chancen doch eher schlecht standen, aus der Mitte des tiefen Loches zu entkommen. Tavi wartete. Und wartete. Nichts geschah.
Panik breitete sich in ihm aus. Hatte Kitai die Sache aufgegeben? War etwas passiert? Hatten die Hüter sie entdeckt und getötet? Konnte sie überhaupt bis fünfhundert zählen?
Er blieb still, zählte weiter und beschloss, ihr noch weitere hundert zu geben, ehe er floh.
Dann wurde die Stille des Wachswaldes durch eine Vielzahl von pfeifenden Schreien zerstört. Wenn Tavi es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wäre es ihm unmöglich erschienen, wie viele Hüter sich in seiner unmittelbaren Umgebung befanden und ihn trotzdem nicht wahrnehmen konnten. Sie strömten von überallher zusammen, krochen aus dem wachsartigen Boden oder lie ßen sich von den schimmernden Ästen in sich verdrehter Bäume fallen oder liefen aus dem Inneren des großen Stamms herbei. Hunderte waren es, und ihr Pfeifen und Klicken hallte durch die Luft.
Tavi erstarrte voller Panik. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie zusammenkamen, bedurfte es einer fast übernatürlichen Anstrengung, um nicht einfach davonzurennen. Einer der Hüter krabbelte eilig an ihm vorbei und hätte fast seinen nassen Umhang berührt.
Sie hatten alle das gleiche Ziel, sie huschten zu einer Stelle gegenüber dem Punkt, wo die Seile hingen, die zur Welt oben führten - fort von ihnen. Kitai hatte also ihre Aufgabe erledigt. Sie hatte nur vermutlich langsamer gezählt als Tavi. Mit der Hälfte des verbliebenen Öls und den Feuersteinen hatte sie ein Feuer entzündet, das die Hüter anlockte. Wenn alles nach Plan gelaufen war, würde sie nun unter ihrer Decke getarnt zu den Seilen gehen.
Der letzte der Hüter, die zu sehen waren, lief davon und verschwand zwischen den leuchtenden Bäumen. Nun brauchte Tavi nur noch seinen Teil des Plans in die Tat umzusetzen.
Ihm saß ein Kloß im Hals, und seine Beine fühlten sich an, als hätte jemand die Knochen aus ihnen entfernt. Er fürchtete, sie könnten jeden Moment unter ihm nachgeben, solche Angst hatte ihn ergriffen. Nur mit Mühe konnte er ruhig atmen, damit er nicht durch hastige Bewegungen die Aufmerksamkeit irgendwelcher Hüter auf sich lenkte. Vorsichtig ging er weiter und betrat den Stamm.
Im Inneren der Höhle bildete das Kroatsch keine glatte Schicht auf Boden und Wänden, sondern lag auf Haufen oder zerstreut herum wie Weizen in einem Kornspeicher. Große Schlaufen davon hingen an den Wänden oder wanden sich wirr durcheinander wie die Eingeweide eines großen, glimmenden Tieres. Tavi betrachtete es verwirrt und verstand es nicht. Auf eine bizarre Weise war es wunderschön, fremdartig und furchterregend und faszinierend zugleich.
Er riss den Blick von den verschlungenen Strukturen los und ging näher an die Wand, wo die Gefahr geringer wäre, mit einem Hüter zusammenzustoßen, falls unvermittelt einer hereinkam. Hier sah er sich um und orientierte sich anhand von Kitais Beschreibung.
Dann drang er tiefer in die geisterhafte Stille des Baumes ein, trat um einen Haufen, der an einen Ameisenhügel erinnerte, und
überquerte ein kleines Feld mit klumpigem Kroatsch , das unter seiner Oberfläche tausend Hüter hätte verbergen können.
Die Pilze fand er in einem Ring in der Mitte des Feldes, so wie Kitai es gesagt hatte. Sie wuchsen um einen leuchtenden Haufen, der doppelt so hoch war wie ein Mensch und durchaus den Durchmesser eines kleinen Hauses hatte. Darin pulsierte grünliches Licht, und Tavi meinte den Schemen einer dunklen, schlanken Gestalt zu erkennen.
Als er näher herantrat, überflutete ihn blankes Entsetzen wie ein eisiges Bad, schlimmer noch als die Decke, die er als Umhang trug. Seine Knie wollten ihm wieder den Dienst versagen, und ihm entfuhr ein Keuchen, das er einfach nicht zurückhalten konnte.
Kitai war ziemlich hübsch, dachte er. Obwohl sie eine Wilde war, hatte ihr Gesicht etwas Anziehendes, und ihre Augen hatten es ihm angetan. Wenn sie sich nur nicht in dieses hässliche Gewand kleiden würde, das ihm nun, da er darüber nachdachte, viel zu kurz erschien, würde sie weniger wild und wie ein Mädchen aussehen. Natürlich hatte er einen Teil von ihr schon ohne
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