Die Elementare von Calderon
jemand vor ihm. Kitai ließ sich von einem Ast fallen. »Hast du ihn?«
»Ich habe zwei!«, japste Tavi. »Mehr konnte ich nicht holen.«
Kitai streckte die Hand aus, und Tavi legte einen der Pilze hinein. »Lauf! Schnell, lauf!«
Kitai nickte, bückte sich jedoch. Tavi zögerte hinter dem Mädchen
und schaute nun doch noch einmal nach hinten. »Beeil dich«, keuchte er. »Schneller, schneller.«
Sie zog gemächlich die Feuersteine hervor und schlug sie mit kühler Miene aneinander. Funken fielen auf die ölgetränkte Decke auf dem Kroatsch . Kitai schaute zu, wie die Flammen aufloderten, dann packte sie das Ende der Angelschnur, die Tavi in das eisige Wasser getaucht hatte, ehe er aufgebrochen war. Sie zog die Leine ein. Das andere Ende der Schnur war um einen der oberen Äste des Baums geschlungen, wo außerhalb des Kroatsch noch Blätter wuchsen, und fiel nun herunter auf eine Ecke der öldurchtränkten Decke. Nun zog Kitai erneut an der Leine, und die brennende Decke stieg in die Höhe und hing mitten im Laub.
Flammen loderten an dem Baum auf, und wieder hörte man aus Richtung des großen Stamms dieses schrille Pfeifen, diesmal begleitet von einem tieferen Ton, der es noch übertönte.
Kitai starrte Tavi mit aufgerissenen Augen an. »Was ist das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Tavi. »Aber, äh, ich glaube, äh, ich glaube, ich habe es geweckt.«
Sie sahen sich an, drehten sich in stillschweigender Übereinkunft um und flohen zu den Seilen, die nur wenige Schritte entfernt waren. Nun brauchten sie nur noch in Sicherheit zu klettern. Von allen Seiten sah Tavi die Hüter heranhuschen; sie bildeten einen Teppich aus glühenden Augen, knotigen Beinen und lederartigen Panzern.
Tavi hatte die Seile bereits erreicht, und Kitai war nur kurz hinter ihm, als etwas von einem der mit Kroatsch bedeckten Bäume fiel, etwas Großes und Schlankes und entsetzlich Schnelles. Ein Hüter war das bestimmt nicht, denn es packte mit langem Arm und harten, chitinartigen Fingern Kitais Knöchel und warf sie zu Boden. Das Mädchen stieß einen Schrei aus und wand sich unter dem Griff.
All das nahm Tavi nur bruchstückhaft wahr. Später konnte er sich erinnern, wie er sich umdrehte und ein Wesen zu sehen
glaubte, das einer grässlichen Wespe ähnelte, die mit halbdurchsichtigen Flügeln im Schein des Kroatsch flatterte. Dieses Wesen beugte sich über Kitai, die eigenartig buckligen Schultern spannten sich, und der Kopf schoss vor. Die Mundwerkzeuge senkten sich in Kitais Bein, und das Mädchen schlug einmal, zweimal auf den Kopf des Ungeheuers ein. Dann verdrehte sie die Augen, begann hilflos zu zucken, strampelte krampfhaft mit den Gliedern und stieß abgehackte Schreie aus.
Das Wespenwesen, das mit leuchtendem Kroatsch bedeckt war, hob den Kopf und gab ein pfeifendes Signal von sich, das wie der Ton einer riesigen Glocke klang. Es schüttelte Blut von den Mundwerkzeugen, und Tavi sah die Facettenaugen, sah eine gelbliche Flüssigkeit an den Rändern von Kitais Bisswunde.
»Taljunge!«, rief jemand aus weiter Ferne. Tavi schaute nach oben und entdeckte hoch über sich Doroga, der sich über den Rand gebeugt hatte. Selbst über die Distanz hinweg erkannte Tavi das Entsetzen in der Miene des Marat. »Aleraner! Du kannst sie nicht retten! Komm hoch!«
Tavi blickte zwischen Doroga und dem Mädchen auf dem Boden hin und her. Das gnadenlose Wesen hockte über Kitais zuckendem Leib. Der Schrecken lähmte ihn, Tavi hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, und er konnte kaum mehr klar sehen.
Kitai hatte ihm das Leben gerettet.
Sie hatte darauf vertraut, dass sein Plan funktionierte, dass sie diese Schlucht lebend verlassen würden. Beide.
Außer ihm gab es niemanden, der ihr helfen konnte.
Tavi ließ das Seil los.
Er rannte los, nicht auf dieses Wesen zu, das sich weiterhin über Kitai beugte, sondern auf die Bäume zu, von denen einer ja Feuer gefangen hatte. Hüter krabbelten sofort auf ihn zu. Er hörte das Scharren ihrer Gliederbeine, ihre Schreie und ihr Pfeifen.
Mit einem Sprung erreichte er den untersten Ast des Baums,
zog sich hoch und kletterte hinüber zum Feuer. Auf halbem Weg blickte er plötzlich einem Hüter in die Augen, der jedoch überrascht zurückwich und mit den Mundwerkzeugen an den Panzer klackte.
Tavi blieb keine Zeit, lange nachzudenken. Er griff nach Faedes Messer, das er sich in den Gürtel gesteckt hatte. Mit der bösartigen Klinge stach er dem Spinnentier in die Augen. Es zog sich noch weiter
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