Die Elementare von Calderon
Jeder Mann schickte im Abstand von fünf bis sechs Atemzügen und manchmal schneller seine Pfeile ab. Amara stand neben Giraldi in einer Scharte, die nicht von einem Schildträger besetzt war, und schaute zu, wie die Pfeile durch die Luft sirrten und auf die Marat niedergingen. Im tödlichen Hagel der aleranischen Wehrhofleute gingen Krieger und Tiere gleichermaßen zu Boden, zu den alten gesellten sich frische Leichen, und die Krähen kreisten aufgeregt über der nun heranstürmenden Horde.
Denn der Angriff geriet nicht ins Stocken.
Die Bogenschützen hatten die ersten Pfeile über vielleicht sechshundert Schritt Entfernung geschossen, einer unglaublichen Distanz, wie Amara wusste. Ihre Holzkräfte mussten an die von Rittern heranreichen, wenn sie solche Leistungen vollbringen konnten. Ungefähr eine Minute lang hörte man kaum etwas anderes
als das Grunzen der Schützen, die ihre Bogen spannten, Legionares , die knieten und wieder aufstanden, sowie das Plärren der Marathörner und das Trampeln tausender Füße.
Doch als die Marat nahe genug an die Mauer herangekommen waren, erhob sich von der Horde ein Gebrüll, das Amara wie ein Schwall kaltes Wasser traf - kühl und beängstigend in seiner Wucht. Im selben Moment stießen die Kriegsvögel ihre schrillen Schreie aus. Der Lärm wirkte fast wie ein eigenständiges Lebewesen. Gleichzeitig ging die Sonne auf, und ihr grelles Licht flutete über den Horizont auf die Mauer. Die Bogenschützen blinzelten, während sie das nächste Ziel anvisierten.
»Ruhe!«, brüllte Giraldi, der in diesem Tumult kaum zu verstehen war. »Speere!«
Die Legionares mit den Schilden nahmen ihre Speere und setzten grimmige Mienen auf.
Unten erreichte die Welle der Marat die ersten messerscharfen Stacheln, welche das Hofvolk aus der Erde getrieben hatte. Amara schaute zu, ihr schlug das Herz bis zum Hals. Die Anführer des Maratangriffs sprangen zwischen den riesigen Dornen hin und her, und für einen Augenblick sah es aus, als wären sie Kinder, die lustig herumhüpften. Hinter ihnen folgten ihre Tiere. Einige Marat zertrümmerten die Stacheln mit schweren Keulen.
»Die mit den Keulen«, sagte Amara. »Sag den Schützen, sie sollen auf die zielen. Je länger die Stacheln stehen, desto schwieriger wird es für sie, das Tor zu stürmen.«
Giraldi grunzte und gab den Befehl weiter, und die Bogenschützen schossen auf ihre neuen Ziele.
Die Sturmleitern, lange Stangen mit Sprossen, wurden angelegt und Seile mit Haken geworfen, die aus Geweihen oder Knochen gefertigt waren. Legionares stießen die Stangen mit ihren Speeren um, andere zogen die Schwerter und hackten die Seile durch, während die Bogenschützen unablässig Pfeile auf den Feind herabhageln ließen. Auch von der Horde unten wurden Pfeile
geschossen, mit kurzen, schweren Schäften und von eigenartig geformten Bögen. Einer der Schützen neben Amara zögerte zu lange, und ein Pfeil durchbohrte beide Wangen. Stark blutend brach der Mann, der von einem Wehrhof stammte, zusammen.
»Heiler!«, rief Amara, und zwei Männer drängten sich zu dem Verwundeten durch und trugen ihn nach unten, ehe sie sich daran machten, den Pfeil zu entfernen.
Amara trat wieder an die Zinne. Sie ließ den Blick über den Feind schweifen, doch außer den Marat und ihren Tieren sah sie niemanden. Es waren so viele Tausende, dass man die einzelnen Krieger kaum auseinanderhalten konnte.
Plötzlich packte Giraldi sie an der Schulter und zog sie zurück. »Nicht ohne Helm«, donnerte er.
»Ich kann nicht erkennen, was sie machen«, keuchte Amara. »Es sind so viele.«
Giraldi schaute mit stolz erhobenem Kopf hinaus zum Feind. »Die Hälfte ihrer Streitmacht ist hier. Sie halten die anderen zurück und lassen sie stürmen, wenn die erste Bresche geschlagen ist.«
»Können wir die Stellung halten?«
»Die Mauer hilft uns sehr«, rief Giraldi zurück, »das Tor ist eher der Schwachpunkt. Ihr Angriff auf die Mauer soll nur viele Soldaten hier binden. Am Tor stehen zu wenig Männer. Früher oder später werden die Marat die Barrikade durchbrechen.«
»Warum haben sie das Tor nicht mit Erdkräften verschlossen?«
»Das geht nicht«, meinte Giraldi. »Der Baumeister hat es mir erklärt. Dort gibt es kein Fundament, das eine Mauer tragen könnte, und die Innenseiten des Tores sind mit Metall ausgekleidet.«
Von unten hörte man ein Krachen und ein Gewirr von aleranischen Schlachtrufen: »Riva für Alera!«, und »Calderon für Alera!«
Giraldi schaute
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