Die Elenden von Lódz
gestapelt, und Fräulein Fuchs sorgte für ein primitives Reihenfolgesystem, bei dem die Bittsteller eine Nummer in Empfang nahmen, dann vor der Tür anstanden und schließlich einer nach dem anderen hereingerufen wurden.
Die Leute kamen wegen allem Erdenklichem.
Viele baten wie Věra um einen Krankenhausplatz für ihre Angehörigen. |374| Andere flehten um Milchzuteilungen für ihre Kinder. Oder Gartenparzellen, die sie nutzen konnten, jetzt, da die Pflanzzeit begann.
Viele beantragten, heiraten zu dürfen. Eine Ehe einzugehen war zum jetzigen Zeitpunkt eine der wenigen gesetzlichen Möglichkeiten für die Beschaffung zusätzlicher Lebensmittelrationen. Der Älteste bewilligte diese Rationen aus seiner eigenen Quote an Sonderzuteilungen. Er nahm die Trauungen auch persönlich vor, da religiöse Zeremonien im Getto untersagt und sämtliche Rabbiner bereits offiziell deportiert waren. Mancher sagte, es sei wirklich
unverschämt
, welche Freiheiten der Alte sich jetzt nehme, dass er den rechtsgelehrten heiligen Mann spiele, wo er doch sogar unter dem Verdacht stehe, Blut an den Händen zu haben! Andere zeigten dennoch ein gewisses Verständnis dafür, dass der Alte diese Rolle übernahm. Wie sollte er sonst seine Macht beweisen, wo er nicht nur von Amtsleiter Biebow öffentlich verhöhnt und lächerlich gemacht, sondern ihm auch jeder Einfluss sowohl auf die Produktion als auch auf die Lebensmittelverteilung im Getto genommen worden war, ganz zu schweigen von jedem »polizeilichen Recht«.
Bei einer der Trauzeremonien, die regelmäßig im alten Präventorium in der Łagiewniska stattfanden, vermählte der Älteste laut Gettochronik nicht weniger als dreizehn Brautpaare gleichzeitig; und auf einem Tablett standen dreizehn verschiedene Weingläser, die man aus einer Flasche mit einer speziellen »sanitären« Tülle füllte. Doktor Miller hatte auf dieser Praxis bestanden, um das Risiko der Übertragung epidemischer Krankheiten auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Doktor Miller stand persönlich hinter dem Hochzeitsbaldachin verborgen und benutzte seinen Stock, um dafür zu sorgen, dass jeder Einzelne nur aus seinem eigenen Glas trank und dass jedes Glas anschließend abgewischt und, ohne dass es zerschlagen wurde, wieder auf das Tablett zurückkam.
Im Nachhinein sprach man viel über die Profanierung des im Palast stattfindenden jüdischen Trauungsaktes, darüber, dass der Hochzeitsbaldachin lediglich eine simple Gardinenstange mit Tüllvorhang gewesen war, der nach der Zeremonie auf Doktor Millers Geheiß umgehend zur Desinfizierung in die Sanitätsstation am Bałucki Rynek gebracht worden war. Es war fast, als höre man erneut Benjis Stimme, wie er schimpfend und Verwünschungen ausstoßend auf den Straßen umherlief:
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Dieser Herr Rumkowski, zum Narrenkönig hat er sich machen lassen, mit seinem närrischen Gefolge und all seinen lächerlichen Zeremonien!
Die Lebensmitteltalons aber, die Frau Ejbuszyc von der Approvisationsabteilung für die dreizehn Brautpaare ausgeschrieben hatte, waren jedenfalls echt und ließen sich in echtes Brot und genügend echte Stärkeanteile umwandeln, aufgrund derer die Suppe zumindest ein paar Tage lang reichte und sättigte.
*
Es hätte ein »glücklicher« Tag werden sollen, als Josel die Tapetentür löste und Maman endlich aus ihrem Eingesperrtsein befreite. Věra würde den Anblick der fremden Frau nie vergessen, die sie auf der anderen Seite antrafen: ihr Körper ebenso dünn wie eine der Nadeln, die sie Věra aufgetragen hatte, rasch mal »aus dem Laden um die Ecke« zu besorgen, doch saß sie aufgerichtet mit einem Lächeln da und streckte ihnen ihren
Ausweis
entgegen, als hätte sie wochenlang auf diese Gelegenheit gewartet. Věra aber sah sofort, dass um Mamans Lippen etwas Schmieriges klebte und dass die Wände um ihr Bett schwarz vor Blut und eingetrocknetem Kot waren.
Arnošt, der die Tapetenwand während der vergangenen Tage mehrmals geöffnet hatte, sagte, dass Mamans Gesundheitszustand trotz allem nicht schlimmer als erwartet sei. Er entfernte die Kanüle aus ihrem Handrücken, und ein paar Tage lang saß sie beim Essen sogar mit am Tisch. Věra weichte Brotwürfel in der Suppe und steckte sie ihr in den Mund, und die Mutter sog ihre schmalen Wangen ein und richtete den Blick nach innen, als wollte sie untersuchen, was da für ein seltsames Fundstück unter ihrer Zunge gelandet war. Doch sie schluckte alles und wirkte eine Zeitlang schier zufrieden mit dem,
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