Die Elenden von Lódz
er einfach keine Worte, um das Gefühl von Vertraulichkeit zu beschreiben, das plötzlich zwischen Biebow und ihm entstanden zu sein schien. Es war fast wie in früheren Jahren, bevor es noch einen »Produktionsprozess« gab, bevor überhaupt nennenswerte
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existierten, als sie beide in Rumkowskis Büro zu sitzen pflegten und Biebow lange Listen mit Offerten durchging, doch nirgends das Fabrikat zu finden vermochte, nach dem er auf der Suche war, und Rumkowski dann plötzlich den Namen einer Person oder Firma einwarf und Biebow ausrief:
Aber das ist ja genial, Rumkowski!
Nur dass die Neuigkeiten, über die sie nun gesprochen hätten, vielleicht nicht ebenso erfreulich seien, sagte Rumkowski, und versuchte das, was ihm Biebow anvertraut hatte, so gut es ging wiederzugeben. Nämlich, dass man in Berlin beschlossen habe, dass es aufgrund des fortdauernden Kriegseinsatzes nicht mehr möglich sei, eine Gettoverwaltung im bisherigen Umfang beizubehalten, dass die Verwaltung umstrukturiert werden müsse und auch zuvor »unersetzliche« Personen wie Ribbe und Czarnulla Litzmannstadt zu verlassen haben, um stattdessen bei der Wehrmacht Dienst zu tun.
Aber das ist nicht das Schlimmste, Rumkowski; das Schlimmste ist, dass das gesamte Getto, überhaupt der gesamte Teil der Gettoproduktion, der zur Rüstungsindustrie gehört, von der zivilen Administration in die Ostindustrie-Gesellschaft der SS übergehen soll – kurz gesagt, das Getto geht vom Gau zur SS!
|453| Sie hielten sich jetzt in dem auf, was Rumkowski Biebows »Stadtbüro« nannte. Den Raum dominierte ein großer, breiter Schreibtisch mit Schreibunterlage und Federablage aus imitiertem Marmor. Am Rand des Tisches standen Telefone, angeordnet in treppenähnlicher Formation. Biebow nahm ein Glas aus einem Wandschrank und schenkte sich etwas ein, nahm auch eine Zigarette aus einem Etui auf dem Schreibtisch; doch ohne Rumkowski eine anzubieten:
Jetzt ist eine Pause in den Verhandlungen, doch so viel ist klar, wenn Doktor Horn seinen Willen durchsetzt, werde auch ich meinen Dienst in der Verwaltung verlassen müssen, und was das für die Autonomie bedeutet, die ich euch Juden all die Jahre gewährt habe, das können Sie sich sicher lebhaft vorstellen, Rumkowski.
In diesem Augenblick sei es gewesen, als werde eine Bühne, die zuvor gänzlich im Dunkeln gelegen habe, plötzlich vor ihm sichtbar, erzählte Rumkowski. Entgegenkommend lächelnd streckte Biebow seine Hand hinunter und führte Rumkowski nun behutsam, fast kameradschaftlich auf diese Bühne hinauf:
Aber ich werde die Verwaltung natürlich nicht verlassen, ohne die gute Zusammenarbeit zu loben, die wir beide immer gehabt haben, Rumkowski.
Und vielleicht besteht ja geradezu die Möglichkeit, einige Ihrer tüchtigsten Arbeiter mit mir zu nehmen. Dann aber müssen es wirklich tüchtige Arbeiter sein, solche, die, wie ich weiß, nur Sie heranziehen können.
Ich habe große Pläne, Rumkowski. Man lockt mit dem Angebot, ich solle eine große Textilexportfirma mit Lagern und Depots in Hamburg und Kiel übernehmen, und obendrein verfüge ich natürlich noch über all meine Kontakte in der Kaffee- und Teebranche. Und was Sie und Ihre Familie anbelangt, Rumkowski, so werde ich auf jeden Fall dafür sorgen, dass man Ihnen einen geschützten, würdigen Weg von hier fort gewährt.
Gute Geschäftsbeziehungen vergisst man schließlich nicht so schnell.
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Jetzt aber müssen Sie sich auf den Weg machen, Rumkowski; Doktor Horn ist die Pünktlichkeit in Person, er lässt nicht eine Minute verstreichen, ohne sie all jenen anzukreiden, die nicht anwesend sind.
Die letzten Worte sagte er, indem er Rumkowski beim Arm ergriff; Rumkowski, der glaubte, es stünde eine Art Umarmung bevor – ein trunkener Loyalitätsbeweis derselben Art, wie er ihn in früheren Jahren über sich hatte ergehen lassen müssen – brachte seinen Körper unter Biebows in Stellung. Doch der wollte nur die Münzen in seiner Jacketttasche erreichen. Nun drückte er Rumkowski ein paar Pfennige in die Hand und klopfte ihm vertraulich auf den Rücken:
Hier haben Sie was für die Straßenbahn, Rumkowski!
Und so geschah das Seltsame, dass der »reiche« Jude Rumkowski, der mit Ausnahme des einen Mals, als er mit dem Lastwagenkonvoi der Gestapo nach Warschau gefahren war, kein einziges Mal außerhalb des ihm angewiesenen Gebiets geweilt hatte, nun gänzlich allein und unbewacht im arischen Teil von Litzmannstadt stand und
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