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Die Elenden von Lódz

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Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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die alle gewissermaßen erwartet hatten:
     
    Bekanntmachung Nr. 408:
1500 Männer zur Arbeit nach außerhalb des Gettos
     
    Laut Herrn Amtsleiter Biebow sind 1500 Männer zur körperlichen Arbeit nach außerhalb des Gettos zu entsenden. Diese sollen körperlich und geistig so beschaffen sein, dass sie für besondere Zwecke angelernt und geschult werden können. Großes Gepäck ist nicht mitzuführen. Hingegen haben die entsprechenden Arbeiter mit heilem Schuhzeug und Winterbekleidung ausgerüstet zu sein.
    Ausgenommen von der Heranziehung sind Arbeitskräfte von Fabriken und Werkstätten, die von der Fachkommission als unentbehrlich für die Warenproduktion des Gettos eingestuft wurden, und darüber hinaus solche folgender Abteilungen:
    1./ Chemische Reinigungs- und Waschanstalt
    2./ Gas-Abteilung
    3./ Leergut-Abteilung
    Arbeiter aller anderen Abteilungen sind verpflichtet, sich von morgen früh 8.00 Uhr an im ehemaligen Ambulatorium Hamburgerstraße 40 zur Untersuchung und Kontrolle durch eine zu diesem Zweck eingesetzte Ärztekommission zu melden.
    Litzmannstadt Getto, Dienstag, der 8. Februar 1944
Ch. Rumkowski, Judenältester
     
    |458| Niemand, der diese Bekanntmachung las, konnte anders, als an die
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-Aktion vor anderthalb Jahren zu denken. Der Älteste fuhr zwar durchs Getto und beteuerte, diesmal sei alles anders, es gehe
lediglich
um Arbeit (worum ging es dann damals?), alle, die abführen, seien
außer Gefahr.
Doch wenn er beim letzten Mal nicht die Wahrheit gesagt hatte, weshalb sollte man ihm jetzt glauben? Hartnäckige Gerüchte machten obendrein geltend, dass das Getto in Zukunft nicht mehr dem zivilen Regime unterstellt wäre, sondern dass alle Getto-Industriebetriebe von der neugegründeten, sogenannten Ostindustrie-Gesellschaft aufgekauft würden, die in den Händen der SS war, und dass jene beabsichtigte, alle arbeitsuntauglichen Juden unabhängig vom Alter aus dem Getto zu verweisen und dieses damit praktisch zu einem Konzentrationslager umzugestalten. Der Präses sollte mit diesen Plänen obendrein einverstanden gewesen sein, ja, er sollte sogar hinter ihnen stehen, weil sie ihm die Möglichkeit boten, sich ein für alle Mal seiner Feinde zu entledigen und im Getto erneut das Kommando zu übernehmen.
    Daher befolgte auch niemand die Vorladung, als sie schließlich eintraf.
    Zwei Tage später, am Morgen des 10. Februar 1944, hatten sich lediglich dreizehn der verlangten 1500 Arbeiter zur Gesundheitsuntersuchung in der Hamburgerstraße eingefunden.
    Weitere zwei Tage später lag die Zahl bei einundfünfzig.
    Der Rest blieb aus.
    Die aufgeforderten Arbeiter erschienen auch nicht an ihren Arbeitsplätzen, sie holten sich nicht einmal die tägliche Suppenration ab. Der Älteste drohte damit, ihre Arbeitskarten einzuziehen und ihre Lebensmittelkarten zu blockieren. Doch auch das half nichts. Am Morgen des 18. Februar 1944 wurde berichtet, dass insgesamt 653 Männer im Zentralgefängnis aufgenommen worden waren. Selbst wenn man jene mitzählte, die aus anderen Gründen hinter Gittern saßen, reichte die Zahl also nicht für den ersten von den Behörden geforderten Transport von 750 Mann.
    Am selben Tag verhängte der Älteste ein Ausgangsverbot im gesamten Getto.
    |459| Über Nacht wurden alle Fabriken versiegelt, alle Verteilungsstellen schlossen, und die Männer der Sonder gingen von Haus zu Haus. Wohnungen, Keller und Bodenkammern wurden aufgebrochen und durchsucht, und wer nicht auf den Ausnahmelisten registriert stand oder eine gültige Arbeitsbescheinigung vorzuweisen vermochte, wurde unverzüglich ins Zentralgefängnis verbracht. Die Leute sagten, es sei genau wie während
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gewesen. Nur dass diesmal die Juden selbst all die schmutzige Arbeit durchführten. Weit und breit war kein einziger Deutscher, keine einzige deutsche Waffe zu sehen.
    *
    Früher einmal hatte Jakub Wajsberg keine andere Möglichkeit gehabt, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, als in der alten Ziegelei an der Ecke Łagiewnicka, Dworska nach Kohle zu graben, in Konkurrenz nicht nur mit Hunderten anderer Kinder, sondern auch mit ausgehungerten Erwachsenen, die um die Ziegelei strichen, in der Hoffnung, den hart arbeitenden Kindern die Kohlensäcke stehlen zu können. (Und manchmal hatte Adam Rzepin als sein Wächter auf dem Dach der Ziegelei gestanden, manchmal aber auch nicht.)
    All das war nun anders.
    Seit ein paar Monaten nämlich war Jakub der glückliche Besitzer eines kleinen Wagens: eines

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