Die Elenden von Lódz
bemerkt, dass einer der Gestapomänner mit den Rechnungsbüchern, die man ihn angewiesen hatte mitzunehmen, hereingekommen war und selbige nun zwischen den deutschen Herren am Tisch herumgereicht wurden. Es klang, als würde sich einer von ihnen räuspern oder vielleicht leise lachen:
Wir wissen, wer Sie sind.
Sie sind der Judenälteste, der reichste Jude von Łódź.
Im ganzen Reich spricht man über Sie.
Die Rechnungsbücher waren schließlich bei dem Mann angelangt, der links außen am Tisch saß. Der blätterte zerstreut ein paar Seiten durch, bevor er ihn weiter durch seine dicken Brillengläser musterte, wobei er die Unterseite seiner Lippe unablässig mit der Zungenspitze befeuchtete. »Es war, wie ich später verstand, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann«, sagte Rumkowski, »und der Mann rechts von ihm, der mit der Hornbrille, war SS-Hauptsturmführer Doktor Max Horn vom Wirtschafts- und Verwaltungsamt der SS, der die Initiative zu diesem Komitee ergriffen hatte; neben ihm wiederum saß SS-Oberführer Doktor Herbert Mehlhorn, verantwortlich für Judenfragen in der Reichsstatthalterei Posen. Keiner der hohen Herren stellte sich jedoch vor, selbstverständlich nicht, keiner von ihnen sagte oder tat überhaupt etwas, ausgenommen, dass sie mit Gläsern oder Karaffen klirrten, sich räusperten oder mit der Zunge am Gaumensegel schnalzten.« (Es war, sollte Rumkowski später sagen, als seien sie allesamt schon voll damit zufrieden gewesen, nur einen Blick auf mich werfen zu können.) Kurz darauf tat sich die hohe Flügeltür von Neuem auf, eine Ordonnanz trat herein, sagte »Heil Hitler!« und meldete Amtsleiter Biebow. Doch da war Rumkowski |451| bereits gebeten worden, das Zimmer zu verlassen, und das Einzige, was er mitbekam, bevor sich die Tür hinter ihm schloss, waren ein paar rasch vom Tisch gestellte Fragen, auf die er Biebow antworten hörte, dass die Produktion von Heraklithplatten in vollem Gange sei.
Genau, Herr Hauptsturmführer
, obendrein habe man in den »Laboratorien des Gettos« eine besondere Mischung aus Zement und Sägespänen entwickelt, die bei allen Haltbarkeitstests vollkommen
einzigartige
Eigenschaften aufweise. Nirgendwo sonst im Gouvernement oder Warthegau sei die Herstellung eines derart
exemplarischen Produktes
geglückt.
Und immer so weiter
. Durch den Spalt zwischen Tür und Türrahmen – oder wohl eher durch eine Ritze ganz oben im Türspiegel – drang das Geräusch von Biebows schmeichlerischer Stimme, die fortfuhr, sich mit der Arbeitskapazität und den vortrefflichen Produktionsergebnissen des Gettos zu brüsten.
Rumkowski war in ein Vorzimmer verwiesen worden. An der Wand, unter einem lebensgroßen Porträt des Führers, zog sich eine Reihe niedriger Holzbänke entlang. Rumkowski nahm am äußersten Ende einer dieser Bänke Platz. Da der Besuch im Raum so kurz gewesen war, blieb er lange überzeugt, dass man ihn nur vorübergehend hinausgeführt hatte und er bald wieder hineingerufen würde. Doch die Zeit verging, und nichts anderes geschah, als dass die Stimmen hinter der Tür lauter wurden. Bald hörte er auch Gläser klirren und das verhaltene, jedoch energische Geräusch von Stiefeln, die über den knarrenden Holzfußboden schritten. Auch der SS-Wachtposten irrte mit dem Blick zwischen ihm und der Tür umher, als wüsste er nicht, was er mit diesem Juden anfangen sollte, den die hohen Herren bei ihm abgeladen hatten. Und keine Zigarette hatte er dabei, sollte Rumkowski später sagen; als Einziges hatte er zwei Stücke Zwieback eingesteckt, die er in der Hast der Zinnbüchse entnommen hatte, die bei Fräulein Dora Fuchs auf dem Schreibtisch stand, doch die wagte er nicht aus der Tasche zu ziehen, aus Angst, einen unvorteilhaften Eindruck zu machen: »ein armer, essender Jude«.
Dann drang eine plötzliche Lachsalve aus dem Raum, die Tür wurde aufgedrückt und Biebows Gesicht schaute heraus – zunächst verständnislos, dann entsetzt:
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Sind Sie denn noch immer hier, Rumkowski?
Rasch schob Biebow die Tür hinter sich mit beiden Händen zu und legte mahnend den Zeigefinger auf die Lippen. Dann führte er Rumkowski durch ein Treppenhaus hinunter, einen langen dunklen Korridor entlang bis zu einem kleinen erleuchteten Zimmer, dessen Tür er erneut und mit einem Blick wie zu einem Mitverschwörer hinter sich schloss.
Was jetzt geschah, sollte Rumkowski auch seinen Vertrautesten nur mit gewissen Schwierigkeiten erklären können. Vielleicht hatte
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