Die Elenden von Lódz
einfachen Karrens mit zwei schwerfälligen Rädern, der sich mit Deichsel oder Zugriemen bewegen ließ. In diesem Wagen verwahrte er jenes Werkzeug, das sein Onkel Fabian Zajtman benutzt hatte, als er vor dem Krieg in seinem Atelier in der Gnieźnieńska seine Puppen herstellte. Ahlen und Hammer und Meißel; alles, was man brauchen konnte, um Messer zu schleifen oder ein Brecheisen zu krümmen. Jakub Wajsberg zog zwischen den Höfen umher und verkaufte diese Dienste. Er führte auch ein paar Handpuppen und Marionetten mit sich, die sein Onkel angefertigt hatte. Anfangs hatte er die Absicht gehabt, die Puppen oder zumindest das Material, aus dem diese hergestellt waren, zu verkaufen – Stoff, Holz, Sägespäne oder Eisendraht ließen sich gewiss zu irgendetwas verwenden. Später aber erschien ihm das nicht mehr notwendig, weil es seinem Vater mit Hilfe des Wagens |460| gelungen war, seinen Ressortleiter zu überzeugen, dass Jakub bei Transporten der Tischlerei behilflich sein könnte.
All das war ein Verdienst des Wagens.
Es war die Zeit, im Spätwinter und zeitigen Frühjahr 1944, als man im Getto mit der Produktion jener
Behelfshäuser
begann, die das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion in Berlin bestellt hatte. In diesen Häusern sollten deutsche Familien Unterkunft finden, deren Behausung von den alliierten Bombenangriffen in Schutt und Asche gelegt worden war. Alles für diese Notwohnungen Erforderliche sollte im Getto hergestellt werden. Nicht nur die vieldiskutierten Heraklithplatten (deren Wunder wirkendes Gemisch aus Zement und Holzfasermasse von Biebow hoch gelobt worden war), sondern auch die Türen, Giebel und Dachstühle der Häuser. Nie zuvor während der zu diesem Zeitpunkt vierjährigen Gettogeschichte war das Arbeitstempo so intensiv und die Produktion so hoch gewesen. Die betroffenen Fabriken hatten ein Dreischichtensystem eingeführt; Sägeblätter und Hobelmaschinen standen nicht eine Stunde still, und war die Arbeitskarte erst mit dem Stempel des Zentralen Arbeitsbüros versehen, fragte keiner mehr, wer man war oder woher man kam, sondern man wurde unverzüglich in die Produktion geworfen. Da Jakub einen Wagen besaß, durfte er am Holzwarenlager in der Bazarna anfangen, von dem aus tagtäglich Hunderte Kubikmeter Holz zunächst zum Sägewerk in der Drukarska und dann zu den verschiedenen Kunsttischlereien in der Pucka und Urzędnicza zu transportieren waren.
Höchst seltsame Tage im Getto.
Das Getto, in dem Jakub aufgewachsen war, war ein Ort voller Lärm und Gedränge gewesen. Jetzt schienen sich ganze Flächen unheilverkündenden Schweigens in den Vierteln auszubreiten. Jakub konnte mit seinem Wagen mitten auf einer normalerweise übervölkerten Straße halten, und alles, was er hörte, war der dumpfe Laut der Regentropfen, die auf ein Stück gespanntes Segeltuch prasselten, und dann der Regen selbst, dessen Flüstern aus dem nassen Boden stieg. Wann war es jemals so still um ihn gewesen, dass er das fast unhörbare Murmeln des fallenden Regens vernahm?
Allein die Männer der Sonder waren an solchen Tagen unterwegs. An |461| jeder Straßenecke standen sie in ihren hohen Stiefeln Wache, breitbeinig und die Hände auf dem Rücken. Zuweilen einzeln, zuweilen in Gruppen von vier oder sechs – so als bereiteten sie sich auf die Erstürmung eines ganzen Häuserblocks vor. Mehrmals schleppten sie jemanden zwischen sich, einen Mann oder etwas, das einmal ein Mann gewesen war, jetzt aber mehr wie eine von Zajtmans Puppen aussah, mit schlaff baumelnden Beinen unter dem Körper: wieder einer von den vielen Tausenden, die es vorgezogen hatten, sich in Holzschuppen und Kohlenkellern verborgen zu halten, statt sich zu dem vom Ältesten angeordneten Arbeitsdienst einzufinden.
Und wenn Jakub mit seinem Karren zufällig an einem Ort haltmachte, in dem gerade ein Zugiff erfolgte, überwältigt die Männer der Sonder ihn ebenfalls. Ihre Gesichter waren von der Gewalt verwüstet, mit der sie andere tagtäglich malträtierten, voll von höhnischer Machtvollkommenheit und einer Art unklarer Scham:
Rozejść się, rozejść się –
Scher dich heim! Heim mit dir!
Für ihn, einen Elfjährigen, war all das unbegreiflich. Wie konnte es solch unwirklich stille Plätze an demselben Ort geben, wo Stunde für Stunde ein andauerndes Knirschen und Kreischen von Sägeblättern und Hobelmaschinen ertönte und die Menschen sich die Lunge aus dem Leib rannten, um von einem Arbeitspunkt zum nächsten
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