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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Zusammenarbeit zwischen den beiden: Was der eine für notwendig erachtete, beschaffte der andere.
    |60| So nahm das Getto Form an: Aus dem Nichts entwickelte sich unversehens der wichtigste Materiallieferant des deutschen Heeres.
    *
    Hier ist Biebow.
Er gibt ein Gartenfest für seine Angestellten auf einem belaubten Innenhof in der Nähe des Sitzes der Deutschen Besatzungsbehörde, die sich in der Moltkestraße befindet. Er feiert heute seinen Geburtstag.
    Im Hintergrund: eine lange Tafel, dekoriert mit Kränzen und frischen Schnittblumen. Hohe, schmale Gläser stehen Fuß an Fuß. Tellerstapel. Platten mit Kuchen, Gebäck und Früchten. Um den Tisch scharen sich lächelnde Menschen, die meisten in Uniform.
    Biebow selbst im Vordergrund, im hellen Anzug, das Jackett mit schmalem Revers, dazu einen dunklen Schlips. Das Haar mit Seitenscheitel und im Nacken militärisch ausrasiert, was die eckige Gesichtsform mit deutlich betonten Backenknochen und Kinn hervorhebt. Neben ihm sind der Leiter der Finanzverwaltung Josef Hämmerle und Wilhelm Ribbe, der höchste Verantwortliche für Warenverwertung und die Fabrikationsabteilungen des Gettos, zu erkennen. Das schmale, gleichsam fuchsartige Gesicht des Letzteren schaut zwischen zwei leicht korpulenten Frauen hervor, die er zugleich um die Taille gefasst hält. Die beiden Frauen haben onduliertes Haar und beim Lachen deutlich sichtbare Grübchen. Worüber sie lachen, ist die Torarolle, die Biebow in Händen hält und die ein Geburtstagsgeschenk ist.
    Dabei handelt es sich um eine der Schriftrollen, die die Rabbiner der Gemeinde im November 1939 in letzter Minute aus der brennenden Synagoge in der Wolborska gerettet und die die deutschen Behörden sozusagen
ein weiteres Mal
konfisziert hatten, diesmal allein zu dem Zweck, sie Biebow zum Geburtstag zu verehren. Unter hohen deutschen Offizieren und Angestellten in Łódź ist allgemein bekannt, dass Biebow eine lustige Schwäche für jede Art Judaica hat. Er hält sich selbst sogar für eine Art Experte in Judenfragen. In einem Telegramm an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin hat er sich bereits angeboten, die Führung und Verwaltung des Konzentrationslagers Theresienstadt zu übernehmen. |61| Dort gab es kultivierte Juden, im Unterschied zu den armen, ungebildeten Arbeitern, die sich hier drängten.
    Rumkowski meint, Biebow inzwischen ziemlich gut zu kennen.
Er ist uns nicht fremd
, pflegt er von ihm zu sagen. Nichts konnte der Wahrheit weniger entsprechen.
    Biebow ist ein unberechenbarer Verwalter. Zuweilen hält er sich wochenlang vom Getto fern, um dann unversehens mit einer großen Delegation anzurücken und die unmittelbare Inventur sämtlicher Werkstätten zu verlangen. Mit seinen Leibwächtern im Schlepptau begibt er sich von Fabrik zu Fabrik und durchsucht die Materialvorräte auf der Jagd nach allem Beiseitegebrachten. Wenn er auf dem Rückweg zu seinem Büro am Baluter Ring einem Wagen oder Handkarren mit Kartoffeln oder Gemüse für die Gettosuppenküchen begegnet und auch nur eine Kartoffel von der Ladefläche kollert, stoppt er das Gefährt mit majestätischer Bewegung und bückt sich, um die heruntergefallene Knolle aufzulesen. Putzt sie am Ärmel seines Jacketts ab, bevor er sie vorsichtig, beinahe ehrfürchtig wieder auf die Ladefläche legt.
    Man soll achtgeben auf das wenige, was man hat.
    Diese Sorgfalt bei jedem im Getto übersehenen Detail lässt sich mit Biebows ansonsten, gelinde gesagt, expansiver Persönlichkeit nur schwer in Einklang bringen. Wenn er im Büro eintrifft, ist er selten nüchtern, und befindet er sich, wie er es nennt, »in diesem gesegneten Zustand«, ruft er oft seinen Judenältesten zu sich. Einmal, als Rumkowski kommt, sitzt er jaulend wie ein Hund hinter seinem Schreibtisch. Bei anderer Gelegenheit kriecht er auf allen vieren vor dem Tisch herum und imitiert eine ratternde Lokomotive. Das war am Tag, nachdem der erste Aussiedlungsbefehl ergangen war: der Befehl über die ersten Zugkonvois in die Todeslager von Chełmno.
    In den meisten Fällen schlägt Biebow einen bedeutend freundlicheren Ton an. Er will
sich besprechen
. Will über Produktionsquoten und Lebensmittellieferungen reden. Solche Gespräche ließen zuweilen eine seltsam falsche Vertrautheit zwischen den beiden entstehen.
Ja, weiß der Himmel, Sie haben wirklich ein richtiges Bäuchlein bekommen, Rumkowski
, konnte er zum Beispiel sagen und ihm die Arme um die Taille legen.
    Ja, das war ein Anblick: der Kaffeehändler

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