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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Um sie herum und zwischen ihnen steht der säuerliche Gestank frischer, dünnflüssiger Exkremente, so stark, dass er selbst den Mief von Feuchtigkeit und Schimmel übertrifft.
    Es ist der Geruch der totalen Erniedrigung.
    Zum ersten Mal im Leben fürchtet sich Jakub Wajsberg vor seinem Vater. Er fürchtet das, was Dunkelheit und Isolierung mit ihm tun werden. Vielleicht bereits getan haben.
    Deshalb nimmt sich Jakub viel Zeit, bevor er herausholt, was er mitgebracht hat.
    Eine kleine Kerze, die er zwischen ihnen auf den Boden stellt.
    Auf die Frage des Vaters, was die Kerze gekostet habe, antwortet er, ein paar Pfennige nur. Hingegen hat er auf dem Markt an der Pieprzowa eine Mark fünfzig dafür bezahlt. Die Verdunkelungspflicht hat die Wachskerzen, die von Kindern verkauft werden, zur begehrten Ware gemacht. Dann die Schüssel mit Suppe, auf die Hala einen Deckel gelegt hat, um sie warm zu halten. Und das Brot.
    Gierig nimmt der Vater ein paar Schlucke von der Suppe und presst das Brot mit zitternden Fingern in den Mund, obgleich er weiß, dass er das nicht tun sollte. Das Essen ist wertlos, wenn es den Körper zu schnell durchläuft. In der Erniedrigung aber sieht Samuel sein eigenes schwarzes Gesicht nicht, sieht nicht länger, was seine Hände und Lippen tun.
    Am Ende können sie reden.
    »Sie haben die Quote jetzt auf 1600 Mann erhöht«, sagt Jakub.
    Samuel erwidert nichts. Jakub muss für ihn einspringen.
    Und wie viele haben sich gemeldet?
    »Sie haben die Quote noch nicht vollbekommen«, beantwortet er seine eigene Frage.
    Einen oder mehrere Abende später sagt Jakub:
    »Sie haben die Zahl jetzt auf 1700 erhöht.«
    Und wie groß ist die Arbeitsreserve inzwischen?
    Jakub presst die Finger auf den kalten Steinboden.
    Und wie viele haben sich gemeldet?, sagt der Vater nicht, doch Jakub gibt zur Antwort:
    |476| »Jetzt können sich auch Frauen für die Arbeitsreserve melden.«
    Samuel Wajsberg verzieht keine Miene, als er hört, was Jakub sagt. Dann ist es, als würde sich sein mit Dunkelheit gefülltes Gesicht ausdehnen und wieder zusammenziehen.
    Und Jakub kann sich nicht gedulden:
    Bitte Papa, lass sie nicht Mama nehmen.
    »Geh jetzt«, sagt Samuel und dreht das Gesicht aus dem Licht.
     
    Am nächsten Tag steht der Vater hinter der Tür bereit, als Jakub aufschließt. Der Vater hat die wenigen Dinge, die er bei sich hat, bereits zusammengepackt, und er lässt den Sohn nicht über die Schwelle, drängt sich derart unbeholfen und schwerfällig hinaus, dass Jakub rückwärts stolpert.
     
    Wohin willst du?
    Es reicht jetzt.
    Aber Mama hat für dich Essen mitgeschickt.
    Ich brauche kein Essen mehr.
     
    Der Vater ist jedoch keineswegs so wütend und stark, wie er soeben noch wirkte. Sie gehen ein paar hundert Meter, dann gerät der Vater ins Wanken und muss sich an der Hauswand abstützen. Nach ein paar weiteren hundert Metern sackt er gänzlich zusammen. Jakub packt ihn beim Mantelärmel und versucht, ihn auf die Beine zu ziehen. Es geht nicht. Erst als er sich auf alle viere begibt und dem Vater die Arme um den Leib schlingt, lässt sich der ein wenig aus seiner entsetzlichen Versteinerung holen.
    Langsam setzt sich das Tandem erneut in Bewegung.
    Knapp achthundert Meter sind es von der Wäscherei in der Łagiewnicka bis zum Haupteingang des Zentralgefängnisses. Sie brauchen über eine Stunde, um hinzugelangen. Und während Jakub seinen Vater stützt, kann er nicht anders, als sich zu wundern, wie es möglich ist, dass man derart schwach wird. Er hat dem Vater doch jeden Tag Essen gebracht; die Mutter war bei dessen Portionen sogar großzügiger als früher, als Chaim noch lebte. Die Scheiben von dem |477| sorgfältig aufgesparten Brotlaib wurden mit jedem Tag dicker geschnitten.
    Hunger schwächt. Schlimmer noch ist die Dunkelheit. Setzt sich die Dunkelheit erst in jemandem fest, höhlt sie mit der Zeit auch den stärksten Körper aus. Jakub denkt, dass dort neben ihm vielleicht gar nicht mehr sein Vater geht, sondern nur eine Art entsetzlich blindes Abbild desselben.
    Vor dem Zentralgefängnis sind zwei deutsche Polizisten und neben ihnen zwei Männer des jüdischen Ordnungsdienstes am Eingangstor postiert. Einer der Wachtposten kommt misstrauisch auf sie zu, als sich Jakub mit seinem Vater nähert. Jakub versucht ein paar geeignete Worte zu sagen, der Vater indes kommt ihm zuvor.
     
    Ich heiße Samuel Wajsberg.
    Ich komme, um mich zur Arbeitsreserve zu melden.
     
    Das Gesicht des misstrauischen

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