Die Elenden von Lódz
Backbleche in einen Ofen). Doch nicht Meir Klamm sitzt auf dem Kutschbock, sondern Amtsleiter Biebow; und in diesem Augenblick bemerkt er, wie groß der Leichenwagen ist, die Decke dort drinnen ist höher als jedes der zusammenfallenden Häuser um den Platz.
Wollen Sie mit oder wollen Sie nicht? Das hier ist der letzte Transport, und er geht
jetzt
ab …!
, ruft Biebow vom Kutschbock, und die ihn begleitenden Männer vom Aufräumkommando haben bereits mit dem Aufladen von Stühlen, Schreibtischen und Schränken begonnen. Und oben in dem Baum, dem großen Kirschbaum, in dem die Geldgeschenke an den Ältesten des Gettos wie große schwarze Früchte hängen, schwingt der Junge die Arme, um allen, die unten am Boden warten, zu signalisieren:
DER TRANSPORT …! DER TRANSPORT KOMMT …!
*
|570| Regina ist verzweifelt.
Mit so einem Wagen fahre ich nicht,
sagt sie, die Augen weit aufgerissen und die Wangen vor Scham gerötet.
Natürlich aber tut sie es dennoch. Was haben sie für eine Wahl?
Staszek sitzt zuhinterst, den Rücken an all die Koffer und Taschen gelehnt, die hinter dem Kutschbock aufgetürmt sind, und sieht, wie das Getto hinter den trockenen, heißen Staubwolken verschwindet, die von den Wagenrädern aufgewirbelt werden. Leere Häuser vor einem sinnlosen Himmel. Straßen, die keine Straßen mehr sind, nur freigeräumte Passagen, um abseits gelegene Schuppen oder Remisen besser erreichen zu können. Ein Kohlendepot, der schützende Zaun abgerissen und verheizt; reihenweise Hühnerkäfige mit zerbrochenen Gittern; eine Pumpe ohne Schwengel.
Überall entlang des randvoll mit Abwasser stehenden Grabens liegen Gegenstände, von den Leute verloren oder zurückgelassen. Alles, von Hausrat, Decken und Matratzen bis zu Koffern, deren Deckel sich im Fall geöffnet haben, so dass der Inhalt an verschlissenen Kleidern und ausgetretenen Schuhen rundum verstreut liegt.
Ab und an stoßen sie auch auf Menschengruppen, in Reihen oder kleineren Pulks. Zumeist unterwegs vom Sammelplatz am Gefängnis, marschieren sie höchstens zu fünft nebeneinander, mit einem Wachmann in zehn Metern Abstand von jeder Gruppe. Hin und wieder erteilt der Wachmann lauthals einen Befehl, doch niemand im Pulk gibt zu erkennen, dass er etwas gehört hat. Erst als der große Wagen vorüberfährt, langsam und knirschend auf seinen schiefen Rädern, bleiben die Marschierenden stehen und starren. Von seinem hochgelegenen Aussichtsplatz sieht Staszek ihre ausgemergelten Gesichter ohne das leiseste Lächeln vorübergleiten, auch keine Hand wird zum Gruß erhoben.
In Radogoszcz herrscht Gedränge. Neben den Lagerhallen des Güterbahnhofs stehen oder sitzen Leute um Berge von Gepäck. Deutsche Wachtposten gehen rastlos und irritiert zwischen den Wartenden umher und zwingen die auf dem Boden Sitzenden mit ihren Gewehrkolben, wieder aufzustehen.
Ein Offizier bekommt ihren Wagen zu Gesicht und brüllt ein scharfes Kommando. Der schroffe Befehl lässt auch die Bahnhofswache und |571| Bahnhofsarbeiter an den Holzstapeln und Metallbergen in mehreren hundert Metern Entfernung aufschauen. Plötzlich geht ein Flüstern durch die Menge, anfangs nur gedämpft, dann immer lauter:
Der Herr Präses kommt …! Präses …! Präses …!
Staszek sieht die Gesichter, an denen der Leichenwagen vorüberfährt, Augen und Münder sind vor Verwunderung weit aufgerissen. Es ist, als hätte niemand erwartet, dass der Präses des Gettos an diesem Ort sein würde, und dann noch in einem solchen Fuhrwerk! Dennoch
ist
er hier. Staszek denkt an das Dokument, das der Vater einmal sorgfältig hervorgezogen und ihm gezeigt hat, das von
Bradfisch persönlich
unterzeichnet war, wie er sagte. Feierlich hat er auf all die Stempel verwiesen. Dieses Dokument, hat er erklärt, würde ihnen freies Geleit gewähren, wohin sie auch fahren wollten.
»Also hab keine Angst, Staszek …!«
Staszek hat keine Angst. Der Älteste aber hat Angst. Von seinem Gepäckberg sieht Staszek deutlich, wie er ein ums andere Mal mit der Hand über die Tasche seines Jacketts fährt, als wollte er sich vergewissern, dass das Dokument noch vorhanden ist.
Der Wagen hat am hinteren Ende des Gleises haltgemacht, wo der Bahnsteig geendet hätte, würde es einen solchen geben. Hier aber gibt es nur einen kleinen Schuppen mit vorstehendem Dach, in dem sich die Fahrdienstleiter aufhalten, wenn die großen Gütertransporte eintreffen. Der Zug ist auf dem Gleis bereitgestellt, und Dora Fuchs und ihr Bruder
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