Die Elenden von Lódz
der Ziegelei vorbeischickte, wo Adam wie gewöhnlich über die Bürschlein wachte. Die Nachricht lautete, es gäbe ein
pekl
abzuholen.
Pekl
konnte alles Mögliche bedeuten – ein Bündel, ein Paket, eine Sendung –, angefangen bei Briketts bis hin zu Trockenmilch. Adam Rzepin hatte gelernt, keine Fragen zu stellen. Doch als er zu der angewiesenen Adresse kam, einem leergeräumten Kellergelass in der Łagiewnicka, befand sich dort nur Mojsze Stern, kein
pekl
.
Mojsze Stern war von kleinem Wuchs, doch er bewegte sich, als wäre er mehrere Köpfe größer. Erteilte er Anweisungen oder Instruktionen, hielt er die Arme vor der Brust verschränkt, gleich einer resoluten Amtsperson. Aber nicht in diesem Augenblick – Mojsze Stern trat mit zwei festen Schritten auf Adam Rzepin zu und fasste ihn bei den Schultern. Wie immer, wenn er unruhig oder nervös war, leckte er sich die Lippen.
Das entsprechende Paket, sagte er, solle eine »äußerst bedeutende Person« erhalten. Diese Person sei derart bedeutend, dass Adam, falls er von der Polizei festgenommen würde oder sie ihm Fragen zu stellen begann,
unter keinen Umständen
erwähnen dürfe, dass er das Paket von Mojsze Stern erhalten habe. Könne er das versprechen?
Adam versprach es.
Mojsze sagte, Adam sei der Einzige im Getto, auf den er sich verlassen könne; dann gab er ihm das Paket.
Mitten auf dem Hof der Gnieźnieńska hatte einst ein Kastanienbaum mit kräftigen Wurzeln und Stamm und einer gewaltigen Krone gestanden, die den Baum aussehen ließ, als wäre er von einer der großen |80| Avenuen in Paris oder Warschau hergewandert. Unter der Kastanie hatte der Puppenmacher Fabian Zajtman sein Atelier gehabt: zwei aneinandergebaute Bretterschuppen, deren Inneres derart verwinkelt war, dass allein die Puppen dort Platz fanden. Von langen Metallhaken an der Decke und an den Wänden hingen Rabbiner im langen Kaftan und Bäuerinnen mit Kopftuch herunter, alle hilflos lächelnd. Im Sommer, wenn es unter dem Bretterdach heiß wurde, zog es Zajtman vor, mit seinen Werkzeugen draußen unter der Kastanie zu sitzen. Umringt von Kindern saß er dort, schnitzte Puppenköpfe und sah die Wolken über den blassblauen Himmel des Hofes ziehen.
Weißt du, wohin der Donner verschwindet, wenn er ausruht?
, hatte er Adam einmal gefragt, als dieser zu Besuch bei Wajsbergs war, und anschließend hatte er vielsagend zur Baumkrone hinaufgenickt, hinter der sich die Wolkenfront bereits hoch und schwarz auftürmte. Seit jenem Tag hatte Adam in ständiger Furcht vor dem gelebt, was sich dort in der Kastanienkrone
eigentlich
verbarg; insbesondere an Hochsommertagen, wenn die Blätter schlaff herabhingen und die Luft in den Gassen in Richtung Bałut wie in einem Backofen stand.
Fabian Zajtman war kurz vor dem Krieg gestorben. Man fand ihn auf seiner Werkbank liegend, fast so, als wäre das Gewitter zornentbrannt zurückgekehrt, um ihm Meißel und Hobel aus der Hand zu schlagen. Es gab viele Orthodoxe um die Gnieźnieńska, die auf den Boden gespuckt und gesagt hatten, es wäre ein Frevel für einen Juden, sich wie dieser Zajtman mit Götzenbildern abzugeben.
Dann kamen die Deutschen: Der Stacheldraht ums Getto verlief direkt hinter Zajtmans Bretterbude, und Frau Herszkowicz,
die Hauswartsfrau
, wie man sie jetzt nannte, ließ die Kastanie fällen und sie zu Brennholz zerkleinern. Auch Zajtmans Bretterbuden wurden zerhackt.
Jetzt habe ich so viel Holz, dass es den ganzen Krieg über und noch länger reicht
, prahlte sie.
In der Gnieźnieńska gewöhnten sich die Leute an das Loch im Himmel, dort, wo früher die Kastanie gestanden hatte, Adam aber ging der Gedanke an den Baum und den Donner nicht aus dem Kopf. Wohin verschwand der jetzt, wenn er keine Kastanie mehr zum Ausruhen hatte? Im Getto gab es keine Bäume. Adam sah den Donner vor sich, |81| wie er umherirrte, immer wahnwitziger in seinem Getöse. Nirgendwo gab es eine Befreiung oder einen Weg hinaus für das ewige Krachen. Auf dieser Seite des Drahts gab es nur einen einzigen Weg in die Freiheit, das hatte Zawadzki bewiesen: der führte
aufwärts
, durch Luken und Fenster, die nicht da waren oder die man erfinden musste, um durch sie nach draußen zu gelangen.
Adam Rzepin stand mit seinem Paket auf einem baumlosen Hof unweit der Schneiderwerkstatt in der Jakuba 12 und wartete auf das Auftauchen der »äußerst bedeutenden Person«.
Der Erste, der auftauchte, war ein noch sehr junger Mann, in Hut und Anzug und einem eleganten
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