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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Plage ein paar Wochen angedauert hatte, wandte sich der Vorgesetzte des Postens an die jüdische Ordnungspolizei und bat sie, sich der Sache anzunehmen.
    Die Belästigungen mussten einfach ein Ende haben.
    Nun wurde Cwajga Blums Eingangstür in der Limanowskiego rund um die Uhr von zwei von Rozenblats Leuten bewacht. Sobald sich Cwajga über die Schwelle des Hauses wagte, waren die jüdischen Polizisten zur Stelle und schleppten sie wieder in Sicherheit.
    Cwajga Blum versuchte stattdessen den Hinterausgang zu benutzen. Die Polizisten aber hatten sie bereits durchschaut. Sobald sie durch die Hoftür nach draußen trat, erschienen sie und schleppten sie ins Haus zurück. Zwölfmal wiederholte sich dieses Fangespiel. Beim dreizehnten Mal gelang es Cwajga Blum, ihre Bewacher zu überlisten, und obendrein traf es sich so günstig, dass die Schupo zur gleichen Zeit einen Wechsel auf ihrer Dienstliste vorgenommen hatte. Der befangene Gendarm in der Limanowskiego war nach Marysin versetzt worden, und ein bedeutend unerschrockenerer Kollege stand an seiner Stelle im Häuschen.
    Bitte, erschieß mich
, sagte Cwajga Blum.
    |87|
Tanz ein bisschen für mich, dann werden wir sehen
, sagte der neue Gendarm.
    Ehe noch Rozenblats Männer verstanden hatten, was da vor sich ging, führte Cwajga Blum einen verzweifelten, wahnwitzigen Tanz hinter dem Stacheldraht auf. Als die Tanznummer beendet war, zielte der Posten mit seinem Gewehr und schoss ihr zweimal in die Brust. Als der Körper auch noch im Liegen stur weiterzappelte, schoss er sicherheitshalber ein drittes Mal.
     
    Cwajga Blums Geschichte wurde im Getto in verschiedenen Versionen erzählt. Entsprechend der einen soll sie zuvor in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses an der Wesoła weggesperrt gewesen sein, doch hatte sie auf ihr Bett zugunsten einer hochgestellten Person aus dem Beirat verzichten müssen.
    Einer anderen Variante zufolge soll Cwajga Blum so verwirrt gewesen sein, dass sie sich nicht einmal bewusst war, in einem Getto zu leben, und zu dem Wachtposten in der Limanowskiego soll sie nicht etwa gesagt haben:
Erschieß mich, erschieß mich
, sondern:
Schließ mich ein, schließ mich ein
– weil sie in dem Soldaten einen der Bewacher aus dem Krankenhaus zu erkennen glaubte.
    (In diesem Fall muss der Wachtposten angenommen haben, dass sich die Frau über ihn lustig machte. Warum sollte sie sonst darum bitten, dass er sie einschließt? Sie war doch längst eingesperrt.)
    Jedenfalls gab es am Ende derart viele Geschichten über Männer und Frauen, die zu den Drähten gingen, dass sich der Älteste gezwungen sah, ein besonderes Dekret zu erlassen (Bekanntmachung Nr. 241), in dem er ausdrücklich jede unerlaubte Annäherung an die Gettogrenze verbot. Insbesondere außerhalb normaler Schichtarbeitszeiten.
    Doch die Leute begaben sich dennoch zu den Drähten. Auf die eine oder andere Weise.
    Im April 1941 berichtet die Chronik von einem Abnehmen der Zahl der Erschießungen an der Gettogrenze. Gemäß der Statistik zogen die Selbstmordkandidaten es nunmehr vor, sich aus Fenstern hochgelegener Treppenhäuser oder Wohnungen zu werfen. Die meisten Selbstmordkandidaten wählten dafür andere Gebäude als jene, in denen sie selbst |88| wohnten. Vielleicht weil sie einer ausreichenden Fallhöhe sicher sein oder ihre Nachbarn nicht unnötigerweise belästigen wollten.
    Im Mai 1941 wurden entsprechend der Gettochronik nicht weniger als dreiundvierzig derartige Selbstmorde verzeichnet. Doch auch von denen, die sich aus den Fenstern in den Tod stürzten, hieß es im Getto, sie seien zu den Drähten gegangen. Sie waren nur zu deprimiert oder durch Hunger und Krankheit zu geschwächt, um sich selbständig dorthin zu schleppen.

 
    |89| Eines Morgens, so berichtete die deutsche Polizei, war eine Frauenleiche auf »arischem Territorium« entdeckt worden, an der Stacheldrahtabsperrung gleich neben dem nunmehr berüchtigten Wachtposten an der Limanowskiego. Die Frau lag auf dem Rücken, den Kopf zur Straße und die Arme in unnatürlichem Winkel vom Körper weggestreckt.
    Die beiden deutschen Posten, die sie entdeckt hatten, glaubten zunächst, die Frau sei tot, noch eine dieser jüdischen Selbstvernichter. Doch als sie sich hinabbeugten, um die Leiche wegzuräumen, bemerkten sie, dass die Frau noch atmete. Sie durchsuchten ihre Kleider nach Dokumenten, fanden jedoch nichts. Nun hatten die deutschen Posten wirklich ein Problem. Da sie keine Personaldokumente gefunden hatten,

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