Die Elenden von Lódz
der vorgesehenen Käufer entweder Denunzianten waren, die den Fall direkt der Kripo meldeten, oder jemand aus Dawid Gertlers Spitzelstab.
So schützen die Juden des Gettos ihre eigenen Leute.
Věra Schulz über Rumkowski in ihrem Tagebuch, am Tag nach der Verbrennaktion auf dem Hof (am 11. Dezember 1941):
… der Mann ist ein Monstrum –
Seine einzige Großtat bisher: in Rekordzeit sein eigenes Volk zu verschleudern und all dessen Habseligkeiten zu stehlen oder zu veruntreuen. Dennoch sieht eine Viertelmillion Menschen zu ihm auf wie zu einem Gott! Wie nur ist ein Mensch beschaffen, der bewusst versucht, möglichst viele Menschen zu erniedrigen und zu entehren, nur um seiner eigenen Erhöhung willen?
Ich begreife es nicht!
|136| Adam Rzepin hatte natürlich nicht die leiseste Ahnung, was für Medikamente ihm da in die Hände gefallen waren oder auf welche Weise sie ihm Nutzen bringen konnten. Auf Mojsze Sterns Anraten suchte er daher einen gewissen Nussbrecher auf – einen ausgefuchsten Mittelsmann bei jeder Art schwarzer Gettogeschäfte – und bat um kostenlose Taxierung.
Was Adam nicht wusste, war, dass der Markt seit dem Eintreffen der fremden Juden mit Waren übersättigt war und die Schwarzhändler in der Pieprzowa nunmehr wie die Habichte um sich hackten, um ihre Marktanteile zu sichern. Jeder neue Akteur auf dem Markt war ein potentieller Konkurrent. Statt Adam also einen angemessenen Preis zu bieten, ging Aron Nussbrecher geradewegs zum neuangetretenen Gefängniskommandanten Shlomo Hercberg und berichtete ihm, es gäbe einen jungen Mann mit Namen Rzepin im Getto, der sich auf den Verkauf von Medikamenten verlegt habe. Hercberg war gerade von einer Zusammenkunft mit dem Ältesten zurückgekehrt, auf der dieser ihnen die Notwendigkeit eingeschärft hatte,
um jeden Preis mit der zunehmenden Kriminalität und Korruption zurechtzukommen
, und deshalb meinte Hercberg, dieser junge Rzepin könnte ihnen womöglich als abschreckendes Beispiel dienen. Rzepin war jung, und ihm fehlten Kontakte. Vor allem fehlten ihm Beschützer. Er würde, mit anderen Worten, keinen anderen melden können, wenn man ihn selbst anzeigte.
Daher fanden sich in Adams und Lidas Wohnung am Tag darauf statt einer Handvoll lukrativer Angebote zwei stämmige Polizisten ein, die Adam mit zum Verhör ins Untersuchungsgefängnis an der Czarnieckiego nahmen.
Wie so viele andere im gettoeigenen Polizei- und Ordnungswesen hatte Shlomo Hercberg seine Wurzeln in Bałuty. Er war das, was die deutschsprachigen Łódźer Juden einen echten
Reichsbaluter
nannten.
|137| In früheren Zeiten hatte er als Maschinist im Kino Bajka an der Ecke Brzezińska, Franciszkańska gearbeitet. Noch immer gab es Leute im Getto, die sich an damals erinnerten. Wie der Herr Hercberg, gekleidet in eine enge marineblaue Uniform mit stahlgrauen Tressen, vor Beginn der Vorstellung ängstlich auf dem Gehsteig vor dem Kino auf und ab promenierte, in der Hoffnung,
die hohen Herrschaften defilieren
zu sehen. Hercberg liebte Premierenabende über alles. Viel später auf den Diners im Haus von Prinzessin Helena, bei denen er selbst zu dem wenigen gehörte, was es an hohen Herrschaften im Getto gab, kam er stets aufs Neue darauf zurück, wie man in früheren Jahren die vornehmen Familien, angefangen mit Poznański bis hin zu Silberstein oder Sachs, in ihren luxuriösen Kutschen bei der großen Tempelsynagoge oder beim Konzerthaus in der Narutowicza vorfahren sehen konnte.
Auch Hercberg erhob Anspruch auf einen gewissen Rang. Er pflegte damit zu prahlen, dass er als Hauptmann in einem der Kavallerieregimenter Feldmarschall Piłsudskis gedient hatte, und wies, wenn man ihn darum bat, eine Menge beglaubigter Kopien von Einberufungs- und Verlegungsbefehlen wie auch von ärztlichen Bescheinigungen vor, die dokumentierten, wo und auf welche Weise er
im Feld verwundet
und zu welchem Feldlazarett er gebracht und wo er rehabilitiert worden war. All diese Bescheinigungen waren natürlich gründlich gefälscht, doch Shlomo Hercberg wusste genau wie auch der Älteste, dass es nicht auf akademische Titel ankam, wenn etwas von Grund auf neu aufgebaut werden sollte, sondern auf die Fähigkeit, dass man sein Amt mit Autorität und Würde zu bekleiden wusste. Und wenn Shlomo Hercberg etwas konnte, dann war es genau das.
Als Adam Rzepin in der Czarnieckiego im Gefängnis saß, befand er sich im untersten Teil, der sogenannten Grube. Die Grube war letztlich nicht mehr als ein
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