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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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quälten. Nämlich: Wie lange sie noch gezwungen sein würden, an diesem Ort zu bleiben. Und was die Behörden für sie in Bereitschaft hielten.
    Und Benji erzählte mehr als gern – von allem, was er wusste.
    Er erzählte von den Schulden, die der Älteste bei den Behörden aufgenommen hatte, als die Gettofabriken erweitert werden sollten, und dass Biebow die Rückzahlung dieser
Schuld
ständig in irgendeiner Form verlangte; wenn nicht in barem Geld, dann durch Wertgegenstände |180| oder Brigaden gesunder kräftiger Arbeiter, die man zu Einsätzen außerhalb des Gettos schickte. Die Schuld, sagte Benji, sei unendlich. Deshalb müssten sich die Neuankömmlinge verpflichten, alles Bargeld abzugeben und ihre sämtliche Habe in der Bank des Ältesten zu einem Einlösebetrag umzutauschen, der nur ein Scherz sei. Trotz allem würde es nie reichen:
     
    Er redet zu euch, so als wäret ihr ein Gewinn, doch das seid ihr nicht; in Wahrheit seid ihr hergekommen, um euch abschlachten zu lassen … Und wisst ihr wie? Genau wie man es mit Tieren in einem Pferch tut. Erst müssen sie sich im Labyrinth müde laufen, und wenn sie dann am Ziel ankommen, warten die Keule und der Schlächterhaken …!
     
    Etliche derer, die mit Benji gesprochen hatten, hielten ihre gesparten Mittel von da an zurück. Mehrere sollen sich auch erkundigt haben, ob er nicht jemand anderen im Getto kenne, der ihr Hab und Gut verwalten könne. Ob es eine Privatbank gebe? Benji aber kannte niemanden, und sollte er wider Erwarten jemanden gekannt haben, hätte er es dennoch nie gesagt. Er starrte den Fragenden nur an, mit einem Blick, als hätte dieser gerade seine eigene Haut zu Markte getragen, und ging dann mit energischen Schritten davon.
    *
    Bevor die Deportationen im Spätwinter 1942 einsetzten, war die Hochzeit von Mordechai Chaim Rumkowski und Regina Wajnberger das meistberedete Ereignis im Getto.
    Man sprach von der üppigen Feier, die der Älteste nach Erwartung aller für seine Braut ausrichten würde, und von den vielen Geschenken, die er aus Dankbarkeit, weil er diese Frau bekommen hatte, an deren Familie und alle Juden des Gettos verteilen würde. Vor allem aber sprach man von der Auserwählten. Von dem
Skandalösen
, dass sie dreißig Jahre jünger war als er, in erster Linie jedoch darüber, dass sie »eine aus ihrer Mitte« war und es folglich jede von ihnen hätte sein können, die auf diese Weise über Nacht an die Seite des Mächtigen erhoben wurde. |181| Viele sahen in dem Bild der jungen, anscheinend wehrlosen Regina einen Weg aus der Gefangenschaft und Erniedrigung, den zuvor niemand für möglich gehalten hatte.
    Die eigenen Angehörigen des Ältesten verhielten sich weit weniger freundlich. Prinzessin Helena hatte ihren Gatten mehrfach gebeten, seinem Bruder Chaim ins Gewissen zu reden. Und als das nichts fruchtete, hatte sie sich ans Rabbinat gewandt und gefordert, dass die Eheschließung rechtlich geprüft werde. Sie meinte,
das falsche Stück
– so nannte sie Regina – habe sich ganz bewusst zum Ziel gesetzt, den alten, hilflosen Mann zu verführen, der obendrein herzkrank sei und daher die Emotionen, die eine Ehe mit einer dreißig Jahre jüngeren Frau mit sich bringen könne, wohl kaum überleben werde. Der Älteste aber sagte, er habe jetzt ebenso wenig wie zuvor die Absicht, seinen Entschluss zu ändern. Von Regina sagte er, sie sei die erste Frau, die ihm nahegekommen sei, bei der er nicht das Gefühl gehabt habe, sich schämen zu müssen. In ihrem strahlenden Lächeln verspüre er eine Unschuld, die ihn aus früherer Verderbnis befreie, und eine edle Reinheit, die ihn zu neuer Pflichterfüllung ansporne. Nur eins beunruhigte ihn. Ob ihr zarter Körper imstande war, das Kind auszutragen, das er ihr zu schenken gedachte. Denn in letzter Zeit war ihm immer häufiger der Gedanke gekommen, dass seine Pflichten nicht nur aus Erziehen und Züchtigen bestanden, sondern er auch dafür zu sorgen hatte, dass sein Erbe weitergeführt wurde. Im März dieses Jahres – 1942 – würde er fünfundsechzig werden. Daher meinte er mit gewissem Recht, dass es eilte, den Sohn in die Welt zu setzen, von dem er immer geträumt hatte.
    Die Trauung selbst nahm Rabbi Fajner in der alten Synagoge in der Łagiewnicka vor, eine einfache Zeremonie mit Rumkowski im dreiteiligen Samtanzug und der Braut, sanft und schön wie ein Frühlingsregen unter ihrem bleichen Schleier. Im Laufe von nur wenigen Stunden empfingen der Judenälteste und seine junge

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