Die Elenden von Lódz
alliierten Bombern stammte, die unterwegs nach Deutschland waren, und aus dem Kammerdunkel flüsterte Maman, sie wäre sicher, dass die Alliierten mit ihren Landemanövern diesmal Erfolg hätten, und wenn sie das nächste Mal zur Bäckerei an der Ecke ging, um frische
rohliky
zu kaufen, würde sie feststellen, dass die verhassten Nazis allesamt aus Prag vertrieben waren.
Sprachverwirrung
Ich weiß. Es war, genau wie Vater und Mutter gesagt hatten, ein »Malheur«, die Schreibmaschine mitzunehmen. Aber ich konnte mich nicht dareinfinden, 150:– Kč für eine gebrauchsfähige Reiseschreibmaschine ausgegeben zu haben, um sie dann einfach zur »Aufbewahrung« zu geben, was in diesem Fall dasselbe gewesen wäre, wie sie den Deutschen zu schenken.
Bestimmt wurden an dem Ort, wohin wir sollten, auch Sekretärinnen gebraucht. Łódź ist doch, wie Martin uns allen erklärte, eine
deutsche
Stadt.
Und wie recht ich hatte! Aber auch wie unrecht!
In den Sekretariaten benutzt man hier natürlich
polnische
Schreibmaschinen, |187| sollte ich hier einen Job bekommen, stünde ich wie eine Närrin da – keine deutschen Buchstaben gibt es auf der Tastatur, soviel ich verstehen kann, schreibt man statt deutsch
e
polnisch
ę
– oder ein
ą
, ein
Ł
statt eines richtigen
L
.
Womöglich noch schlimmer steht es mit der Sprache. Es ist, als wohnte man mitten in einem Bienenschwarm: Überall wird Polnisch, Jiddisch und Hebräisch gesprochen. Die einzige Sprache, die man
nicht
spricht, ist Deutsch. Es ist die Sprache der Besatzer, des Feindes – der Deutschen.
Als deutsch- oder tschechischsprachiger Mensch ist man hier vollkommen isoliert; man hat nicht
die geringste Ahnung
, was um einen herum diskutiert wird. Das gibt mir das Gefühl, eine totale Analphabetin zu sein …
Es war im Frühjahr 1942. Die Aussiedlungsaktion, wie die Deportationen genannt wurden, war bereits in vollem Gange.
Die Bestürzung über die erbärmliche Situation, in der sie hier gelandet waren, war bei vielen deutschen Juden zur unterschwelligen Angst vor dem geworden, was sie als Nächstes erwartete. Man munkelte, dass nunmehr auch
Westjuden
auf der Liste jener standen, die deportiert werden sollten, was vielen gänzlich absurd erschien. Sollte dieses Elend denn nie ein Ende haben?
Die Wintermonate waren so kalt, dass Martin erst das Eis aus dem Brunnen hacken musste, bevor er Wasser in die Wohnung hochtragen konnte. Věra hockte auf allen vieren und versuchte zumindest den gröbsten Schmutz wegzuschrubben, doch das Wasser war derart kalt, dass ihre Hände anschwollen und gefühllos wurden, und später hatte sie höllische Gelenkschmerzen. Die Wäsche hängten sie auf eine Leine, die vom Ofenrohr zum Türknopf von Mamans enger Kammer gespannt war, doch sie trocknete kaum, und so viel sie auch zu heizen versuchten, so froren sie dennoch erbärmlich.
Mehr als Kälte und Feuchtigkeit machte der Hunger das Leben zur täglichen Qual. Die Haut am Bauch sowie an Arm- und Fußgelenken quoll auf, füllte sich mit Wasser und wurde schwer; Kraftlosigkeit belastete jedes Glied. Nach Tagen mit ausschließlich dünner, nach Ammoniak |188| stinkender Suppe als Nahrung wurde die Mattigkeit zum Schwindel und der Schwindel zu einer Art Manie. Stunde um Stunde, Minute um Minute hatte Věra keinen anderen Gedanken im Kopf als
das Essen
. Sie dachte an das frischgebackene Brot, das Maman morgens ab und an heimgebracht hatte, mit knuspriger, aromatisch duftender Kruste und so frisch, dass es noch gänzlich warm auf der Handfläche lag, wenn man ein Stück abbrach; oder an den gedämpften, herrlich nach Knoblauch duftenden Rinderbraten, den ihre Haushälterin sonntags mit Kartoffelknödeln anrichtete, die sie in einem großen Topf zubereitet und schließlich mit einem dicken saftigen Klecks Butter serviert hatte; oder an echte
palačinki
, die die Kinder, wenn sie von der Schule heimkamen, als Nachspeise erhielten, bedeckt mit Konfitüre und Sahne; oder an die übervollen Platten mit
cukrovinky
– kleinem Vanille- und Nussgebäck in Kugel- und Kringelform –, die stets zu Chanukka auf dem Tisch standen. Keins dieser Phantasiebilder konnte die Plage auch nur im Geringsten lindern, stattdessen brachten sie den Hungerwolf in ihren Eingeweiden zum noch wilderen Rasen. Überdies war Arnošt mit seinen Forderungen vollkommen kompromisslos: Alles, was sie an Essen erübrigen konnten, so wenig es auch sein mochte, musste Maman erhalten.
Unentwegt redete er zu Věra und
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