Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
Gäste waren gezwungen, im Freien zu nächtigen. Es war nicht die richtige Jahreszeit für die Feier.
Er peilte die Laternen an, die er hatte aufhängen lassen. Im Heck der Krönungsbarkasse hatte er eine Wassermelone auf die Reling gebunden. Angestrengt spähte er in die Dunkelheit, um ihre Umrisse zu entdecken. Jetzt war niemand auf dem Schiff. Und kaum jemand hielt sich im Hafen auf.
Sein Geschütz im Kistenstapel stand hoch genug, dass er über die Feiernden hinwegschießen könnte, die in sieben Tagen zur Dämmerung die Kais bevölkern würden. Madrog peilte den Lastkahn mit dem bunt geringelten Mast an. Er lag nahe bei einem Ladekran, der auf bunt bemalten Stelzen stand. Gestern erst war der Kran gestrichen worden. Aus dem Zusammenspiel der Mastringe und der bemalten Stelzen konnte er ablesen, wie hoch das Wasser im Hafenbecken stand. Der Tidenhub konnte einen Unterschied von bis zu zwei Schritt ausmachen. Einem Schützen, der einfach nur ein Ziel anpeilte, mochte so etwas egal sein. Seine Spinnenmänner waren anders! Sie überließen nichts dem Zufall. Seit Wochen hatte er mit ihnen daran gearbeitet, überall im Hafen Masten und Zelt stangen aufzustellen. Sie alle trugen Zeichen. Mal ein auffällig helles Seil. Mal ein breites, weiß aufgemaltes Kreuz. Wer sie richtig zu deuten verstand, für den verwandelte sich der Hafen rings um die Prunkbarkasse in ein Raster. Und dieses Raster diente dazu, Entfernungen und Höhen bis auf zwei Fingerbreit genau abzuschätzen. Ein guter Schuss war eben kein Zufall!
Madrog sah, dass das Wasser im Hafen drei Ellen unter dem höchsten Flutstand lag. Die Entfernung zur Melone auf der Reling betrug etwa hundertsiebzehn Schritt, eine Elle und fünf Finger. Der Kobold korrigierte den Neigungswinkel des Torsionsgeschützes leicht. Dann peilte er über den Lauf der Schiene. Das Geschoss würde nach einhundertacht Schritt von einer geraden in eine leicht geneigte Schussbahn übergehen. Noch einmal korrigierte er die Höheneinstellung. Jetzt konnte er eben noch den oberen Rand der Melone sehen, wenn er über die Schiene peilte. Er wählte eine der fünf Steinkugeln und legte sie auf das Geschütz. Dann drehte er bedächtig die Spannkurbel. Er mochte das leise metallische Klicken. Nach der siebzehnten Umdrehung hörte er auf. Er zog den Sicherungshebel zurück. Die Steinkugel schnellte davon. Neugierig beugte er sich über die Schiene und peilte sein Ziel an. Die Wassermelone war verschwunden. Sehr gut!
Es war erstaunlich, wie ähnlich sich Wassermelonen und Köpfe verhielten, wenn sie von einer zwei Pfund schweren Steinkugel getroffen wurden. Jetzt war er beruhigt. Ganz gleich, wie die Königswahl auch verlaufen mochte, er hatte nun die Möglichkeit, sie in seinem Sinne enden zu lassen.
DER BLAUE STERN
Emerelle erwachte und hatte das Gefühl, dass etwas Schweres auf ihrer Brust hockte. Sie rang um Atem. Sie spürte, wie sich ihre Lungen weiteten. Doch die Atemnot wurde nicht besser. Sie fühlte sich schwach, und ihr war schwindelig, obwohl sie lag. Neben ihr brannte ein kleines Feuer. Der Rauch stieg in einer blassgrauen Säule dem Himmel entgegen. Es war vollkommen windstill. Über ihr zogen dunkle Wolken hinweg. Manchmal konnte man die fahle Sonnenscheibe hindurchschimmern sehen. Obwohl sie so nahe beim Feuer lag, war ihr immer noch kalt. Sie streckte sich und bemerkte, dass sie in etwas eingehüllt war. Feines blaues Leinen mit einer Schmuckborte. Wo war sie? Auf dem Gipfel. Neben ihr ragte ein Holzgebilde auf, das entfernt an einen zersplitterten Schiffsrumpf erinnerte.
Es lag sehr wenig Schnee zwischen den Felsen. Aber dicht neben dem Feuer schillerte zersplittertes Glas. Sie stemmte sich hoch. Die Bewegung kostete sie all ihre Kraft. Sie hechelte wie ein Hund nach einer wilden Jagd. Emerelle versuchte ihre Zaubermacht zu sammeln, aber sie konnte ihren Gedanken keine klare Richtung geben.
Melvyn erschien. Er wirkte gehetzt. Sein Blick war unstet. Als er sich neben sie hockte achtete er auffällig darauf, einen schützenden Felsen im Rücken zu haben.
»Wir sollten gehen«, raunte er ihr zu.
»Die Alben … Sind sie hier? Ich muss …«
»Ich habe sie nicht gesehen …«
Da war etwas Zögerliches in seiner Stimme. Etwas, das den Worten eine verschoben Bedeutung gab. Die blasse Sonnenscheibe strahlte tief am Horizont. Zu tief! Sie hatt eben doch noch viel höher am Himmel gestanden!
»Was ist?«
»Hier ist alles …« Er rang um das passende Wort. »Es ist … fremd.
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