Die Elfen von New York
Fahrrad am St. Mark’s Place an. Drei zerlumpte und obdachlose junge Männer bettelten ihn an, aber er ignorierte sie und begann zu spielen.
Heather schüttelte ungläubig den Kopf. Dinnie spielte so schlecht, daß es jeder Beschreibung spottete. Passanten wechselten die Straßenseite und riefen ihm Beleidigungen zu. Der kleine Koksdealer an der Ecke räumte das Feld und machte Mittagspause. Die zerlumpten Obdachlosen, die schon zuviel mitgemacht hatten, um sich von einer Geige vertreiben zu lassen, drehten sich einfach auf die andere Seite.
Nach einer halben Stunde qualvollen Gefiedels hatte Dinnie keinen Penny verdient. Traurig schloß er seine Fahrradkette auf und wollte heimfahren.
Heather war entsetzt, einen MacKintosh-Musiker so niedergeschmettert zu sehen.
»Geh nicht«, flüsterte sie.
»Wozu soll ich denn bleiben?«
»Spiel weiter«, befahl Heather und hüpfte auf die Saiten seiner Violine, um deren Klang zu dämpfen. Unsichtbar für den Rest der Welt, spielte sie auf ihrer Fiedel, während Dinnie nur so tat. Sie spielte ein paar hinreißende schottische Tänze – ›The Salamanca‹, ›Miss Campbell of Monzie‹, ›Torry Burn‹ und verschiedene andere, jeden untermischt mit ein paar von ihren Lieblingsriffs der Ramones. Zum Schluß stürzte sie sich in eine bewegende Version von ›Tullochgorum‹.
Die Menge brach in lauten Jubel aus. Münzen regneten in Dinnies Geigenkasten. Dinnie schaufelte sie zusammen und hatte einen triumphalen Abgang. Er war so erfreut über das Geld und den Applaus, daß er sich hingerissen bei Heather bedankte. Alles in allem wäre es ein denkwürdiger Tag gewesen, hätte er nicht im nächsten Moment festgestellt, daß sein Fahrrad gestohlen war.
»Du dämliche Fee«, wütete er. »Wie konntest du mich nur dazu bringen, weiterzuspielen, nachdem ich mein Fahrrad losgekettet hatte?«
»Wie sollte ich denn ahnen, daß es geklaut wird?« protestierte Heather. »In Cruickshank werden keine Fahrräder geklaut.«
»Verdammtes Cruickshank!« schrie Dinnie und stürmte davon.
Magenta radelte heiter die First Avenue entlang. Hinter ihr schüttelte Joshua wütend die Faust. Er hatte sie schon beinahe eingeholt gehabt, als Magenta großes taktisches Geschick bewiesen, sich auf ein nicht angekettetes Fahrrad geschwungen hatte und losgefahren war.
Da er nicht weit rennen konnte, gab Joshua die Verfolgungsjagd bald auf und ließ sich auf den Bürgersteig sinken.
Er zitterte. Ohne sein regelmäßiges Quantum vom Fitzroy Cocktail bekam er Entzugserscheinungen, aber das Gebräu hatte seinen Verstand schon so vernebelt, daß er sich ohne den Zettel, den Magenta ihm gestohlen hatte, nicht an das Rezept erinnern konnte.
Ein Obdachloser, ein alter Bekannter Joshuas, stolperte heran und bot ihm einen Schluck Wein an. Das half, aber nicht viel.
»Zur Hölle mit dieser Magenta«, schimpfte Joshua. »Und ihren dämlichen klassischen Phantasien.«
»Ich habs gleich gesagt: Du hättest sie nicht zum Trinken mit in die Leihbücherei nehmen dürfen«, sagte sein Freund. »Für wen hält sie sich denn jetzt?«
»Irgendeinen General aus dem antiken Griechenland«, murrte Joshua.
»Was kann ich dafür, daß du in einer Stadt voller Diebe und Krimineller lebst«, sagte Heather, die hinter Dinnie her flatterte. »Schließlich habe ich dir Geld verdient, oder etwa nicht?«
»Dreiundzwanzig Dollar. Wo soll ich für dreiundzwanzig Dollar ein neues Fahrrad herkriegen?«
»In einem Fahrradladen vielleicht?« schlug Heather vor, aber das schien Dinnie nur noch wütender zu machen.
Als eine alte Frau mit drei alten und dreckigen Mänteln übereinander ihn um Geld anbettelte, beschimpfte er sie grob.
Zu Hause stolperte er vor der Treppe zum Kino über eine Leiche, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Heather blieb stehen und betrachtete sie. Wieder ein toter Penner. Jeder Luftröhrenschnitt kam hier zu spät.
Es ist einfach schrecklich, wie die Leute hier auf der Straße sterben, dachte sie. Warum kümmert sich niemand um sie?
Unten im Kino war Cal mit den Proben für seinen ›Sommernachtstraum‹ zugange. Als die Stimmen der Schauspieler durch die Decke dröhnten, schimpfte Dinnie durch die Dielenbretter. Er war kein Fan von Shakespeare.
»Sprich mich nie wieder an«, schnauzte er Heather an, die sein Benehmen höchst undankbar fand.
Aber an Undank war sie ja gewöhnt. Nachdem Morag und sie sich daheim endlose Stunden damit geplagt hatten, neue Fiedeltechniken zu entwickeln, die
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