Die Elfen
half nicht. Entnervt zog er seinen Dolch.
»Das tust du jetzt nicht, Vater.«
Mandred setzte die Dolchspitze auf den Ansatz des Fingergelenks und schlug mit dem Handballen auf den Knauf der Waffe. Mit leisem Knirschen durchtrennte der Stahl den dünnen Knochen. Der Jarl nahm den Finger, streifte den Ring ab und steckte ihn zu der übrigen Beute in einen Lederbeutel.
»Du bist schlimmer als ein Tier!«
Der Krieger richtete sich auf. »Was du über mich und Tiere denkst, ist mir gleich. Aber behaupte nie wieder, mir wären meine Freunde egal.«
»Ach so, ich verstehe. Es ist die reine Rücksichtnahme, dass wir hier verharren, während sie kämpfen. Du willst ihnen nicht den Spaß verderben.«
Mandred schwang sich in den Sattel. »Du begreifst wirklich nicht, was wir hier tun, oder?«
»Doch, doch. Das war schon recht offensichtlich. Du füllst dir deinen Geldbeutel . Wahrscheinlich, damit du dich in der nächsten Stadt besaufen und rumhuren kannst. Hat Freya dich vielleicht auch deswegen verflucht?«
Mandred versetzte Oleif eine schallende Ohrfeige. »Nenn deine Mutter und Huren nie wieder in einem Atemzug.«
Der junge Krieger schwankte im Sattel, ganz benommen von der Wucht des überraschenden Schlags. Rote Striemen malten sich auf seiner Wange ab.
»Und jetzt hör mir zu, statt zu schwatzen, und lern etwas.« Mandred sprach leise und überbetont. Er durfte sich nicht vergessen! Am liebsten hätte er diesem Klugscheißer von Sohn eine ordentliche Tracht Prügel verpasst. Was hatten die Elfen nur aus seinem Jungen gemacht! »Die meisten menschlichen Krieger haben Angst vor dem Kampf. Sie reden groß daher, aber wenn es so weit ist, dann sitzt ihnen allen die Angst im Gedärm. Ich selbst habe Angst davor, dass in den Häusern am anderen Ufer Armbrustschützen lauern und uns niederschießen, wenn wir über die Brücke kommen. Wenn sie dort postiert sind, dann warten sie, bis wir auf eine Entfernung herankommen, auf die sie uns nicht mehr verfehlen können. Ich bin abgesessen und habe meine Börse gefüllt, um ihnen ein bisschen Zeit mit ihrer Angst zu lassen. Denn sie fürchten uns genauso. Sie haben Angst, uns zu verfehlen, und davor, dass wir in den Häusern sind, bevor sie nachgeladen haben. Je länger sie uns sehen und warten müssen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass einer die Nerven verliert und schießt. Dann wissen wir zumindest, was uns erwartet.«
Einige Herzschläge lang herrschte angespanntes Schweigen zwischen Vater und Sohn. Man hörte nur das Schaben des Treibholzes, das sich an den massigen Brückenpfeilern entlangschob.
Oleif blickte zu den Häusern am anderen Ufer. »Du hast Recht. Wenn wir blindlings in eine Falle reiten, sind wir keine Hilfe für Nuramon und Farodin. Nichts regt sich drüben. Glaubst du, wir können die Brücke in Sicherheit überqueren?«
Mandred schüttelte den Kopf. »Krieg und Sicherheit sind zwei Dinge, die nicht zusammengehen. Allerdings bin ich mir jetzt sicher, dass dort drüben keine gewöhnlichen Krieger auf uns lauern. Von denen hätte längst einer geschossen. Aber wenn uns statt Grünschnäbeln ein paar ausgebuffte alte Hurenböcke erwarten, Veteranen, die schon in vielen Schlachten gekämpft haben, dann kennen sie dieses Spiel und warten in aller Seelenruhe ab.«
Mandred beugte sich tief über den Hals seiner Stute und gab ihr die Sporen. »Wir sehen uns am anderen Ufer!«
Sie jagten in gestrecktem Galopp über die lange Brücke.
Misstrauisch beobachtete Mandred die Häuser, doch kein Pfeilhagel empfing sie, als sie die Brücke verließen. Die fünf Krieger schienen die einzigen Wachen auf dieser Seite der Stadt gewesen zu sein.
Mandred und Oleif zügelten ihre Pferde. Vor ihnen lag eine breite, gewundene Straße, die zum Markt und von dort weiter hinauf zum Tempelplatz auf dem Hügel führte. Aniscans war wie ausgestorben. Niemand wagte sich auf die Gassen. Langsam ritten sie weiter. Ängstliche Augen folgten ihnen hinter halb verschlossenen Fensterläden. Vom Hügel herab ertönte Geschrei. Man hörte den hellen Klang von Schwertern.
»Wenn ich hier das Kommando hätte, würde ich uns in die Stadt hineinlassen und dann die Gassen absperren«, erklärte Oleif.
Mandred nickte. »Wie es scheint, haben die Elfen dir ja doch etwas mehr beigebracht, als schlau daherzureden oder ein Liedchen zu trällern. Lass uns absitzen. Zu Fuß sind wir beweglicher.«
Sie verließen die Hauptstraße und schlugen sich in das Labyrinth aus engen Gassen.
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