Die Elfen
heran und küsste ein Blatt. »Ist das schön, mein Baum?«
»Es ist wie ein Zauber. Und dafür möchte ich dich beschenken.«
»Beschenken? Vielleicht mit einer Olive?«
»Aber nein. Jeder, der dort oben steht, nimmt sich eine Olive, ohne dass ich etwas dagegen habe. Ich möchte dir nichts schenken, was sich jeder von mir nehmen kann. Für meine Liebste muss es etwas Besonderes sein, für sie ist kein Aufwand zu hoch. Du weißt, wie eifersüchtig die beseelten Maulbeerbäume ihre Früchte hüten?«
»Ja. Deshalb ist es klüger, die seelenlosen zu suchen. Denn den anderen musst du gut zureden, damit sie sich von einer Frucht trennen.«
»Nun, genau das habe ich getan. Ich… Ich spürte einen Wind vorüberziehen, hin zu den beiden Maulbeerbäumen, die am anderen Ende des Gartens wurzeln. Da bat ich sie, mir je eine Frucht zu überlassen. Zuerst weigerten sie sich und sagten, ich sei schließlich auch nur ein Baum. Was sollte ich wohl mit den Beeren anfangen? Als sie aber erfuhren, dass ihre Früchte für dich bestimmt sind, da wurden sie mit einem Mal freigebig.«
»Aber wie haben sie dir die Beeren zukommen lassen? Du stehst hier, die anderen aber sind ein ganzes Stück von dir entfernt, wie du sagst.«
»Ach, sie wurden von Baum zu Baum gegeben und dann auf die Wiese gelegt, wohin ich meine Wurzeln ausstreckte und mich den ganzen Tag über abmühte, um das Geschenk für meine Liebste zu erreichen.«
»So hast du die Beeren denn nun?«
»Ja, und ich möchte sie dir geben.«
»Aber wie? Soll ich zu dir kommen? Oder wirst du sie in ein Blatt legen und mir mit einem Aste reichen?«
»Wir Bäume kennen große Zauberkraft. Sieh her!« Nuramon warf die rote Beere so, dass sie auf der Brüstung der Terrasse direkt vor Noroelle landete. Dann warf er die weiße Beere hinterher, die Noroelle geschickt auffing. »Sind sie beide angekommen?«, fragte er.
»Die eine liegt in meiner Hand, die andere vor mir. Sie sind so schön und so frisch!«
Nuramon sah zu, wie sie die Beeren aß. Wie gebannt betrachtete er ihre Lippen.
Nachdem sie die Früchte gekostet hatte, sagte sie: »Das waren die süßesten Beeren, die ich jemals gegessen habe. Aber was soll nun aus uns werden, mein Baumgeist?«
»Willst du nicht zu mir herabkommen und hier Wurzeln schlagen?«
»Ebenso gut könntest du deine Wurzeln lösen und über die Treppe zu mir heraufkommen .«
»Hör mich an, Liebste! Hör meinen Vorschlag! Hier schläft ein Jüngling in meinem Schatten und träumt. Wäre er dir vielleicht genehm?«
»Ja, verbinde dich mit ihm und komm zu mir. Der Geist hinter deiner Stimme in diesem Körper, das wünsche ich mir in dieser Nacht. Komm zu mir, Nuramon!«
Der Elf zögerte. Doch war heute nicht ein Tag der Wunder? Er war zur Elfenjagd berufen worden. Die Königin hatte ihm ihr Orakel verraten. Die Bäume hatten zu ihm gesprochen.
Er fasste sich ein Herz, trat aus dem Schatten der Linde und stieg über die Treppe auf die Terrasse hinauf, wo Noroelle ihn erwartete. Zuerst wollte er Abstand zu ihr halten, so wie er es immer tat, um ihr nicht zu nahe zu kommen. Er wollte sie keinesfalls berühren. Aber sie stand dort so verführerisch wie nie zuvor. Der Nachtwind ließ ihr Kleid und das lange Haar wehen. Sie lächelte still und neigte den Kopf zur Seite. »Ich habe gehört, was die Königin getan hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin.«
»Und du kannst dein Glück nicht vor mir verbergen.«
»Ich habe dir immer gesagt, dass man eines Tages dein wahres Wesen erkennen werde. Ich habe es gewusst. O Nuramon!« Sie zeigte ihm ihre Handflächen und wollte sie ihm entgegenstrecken, verharrte dann aber.
Und Nuramon überwand seine Scheu und fasste ihre Hände.
Noroelle sah hinab, als müsste sie sich vergewissern, dass seine Hände sie tatsächlich berührten. Sie hielt den Atem an.
Er küsste sie zärtlich auf die Wange, und sie atmete seufzend aus. Als seine Lippen sich langsam ihrem Mund näherten, begann sie zu zittern. Und als sich ihre Lippen berührten, spürte Nuramon, wie Noroelles Anspannung sich löste und sie den Kuss erwiderte. Dann schloss sie ihn fest in die Arme und flüsterte ihm ins Ohr: »Im richtigen Augenblick, Nuramon. Und doch so überraschend.« Sie sahen einander lange an, und Nuramon hatte das Gefühl, es wäre nie anders zwischen ihnen gewesen.
Nach einer Weile bat Noroelle: »Erzähl mir, was heute Abend geschehen ist.«
Nuramon berichtete ihr, was sich zugetragen hatte, und vergaß
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