Die elfte Geißel
Reihe von Filmen zu sehen, die auf pädophilen Internetforen veröffentlicht werden.«
Broissard fuhr fort:
»Am späten Vormittag werden wir alarmiert. Klassische Vorgehensweise: Man beschafft sich die Fotos, und man versucht, die Aufnahmen so zu modifizieren, dass man das Gesicht des Vergewaltigers erkennt. Doch das bleibt weitgehend erfolglos. Das einzige Indiz: Der Mann spricht mit seinem Opfer Französisch. Klassische Vorgehensweise: Man besucht die Kinderschänder, die unter Auflagen freigelassen wurden, sowie die Wiederholungstäter. Ohne Erfolg. Am 28. Mai geht eine Personenbeschreibung des Kindes an alle regionalen Polizeidienststellen raus.«
»Am 1. Juni wird in einem Feld etwa fünfzig Meter vom Ufer der Creuse entfernt, unweit der Festung von Crozant, eine Leiche gefunden. Die Gendarmerie informiert mich.«
»Wer hat die Leiche gefunden?«
»Der Grundstückseigentümer. Er hat nachgesehen, ob der Fluss kein Hochwasser führte, als er das Kind entdeckte. Ich bin Schlag 20 Uhr mit dem Staatsanwalt vor Ort eingetroffen. Ich habe fünf verschiedene Folgen von Fußspuren entdeckt, die jedoch aufgrund der Gewitter, die das Feld in einen Sumpf verwandelt hatten, unbrauchbar waren.«
»Und die Obduktion?«
»Sie wurde von dem Rechtsmediziner durchgeführt, der das üblicherweise für uns macht.«
Der Kommissar las mit lauter Stimme den rechtsmedizinischen Befund vor:
»Todesursache: Ersticken. Mehrere Verletzungen am After. Keine Spuren von Sperma oder von körperfremden Epithelzellen. Neun sichtbare Knutschflecke. Vier an den Hoden. Drei am Glied. Zwei am Hals. Die Zähne wurden postmortal ausgerissen und die Fingerbeeren verbrannt.«
Carrère notierte alles, was die beiden Männer sagten, wobei er versuchte, sich die wichtigsten Informationen anschaulich vorzustellen. Musil schenkte sich noch ein Glas ein, um ganz bei der Sache zu sein.
»Die organischen Rückstände, die auf der Leiche gefunden wurden, wurden zur Untersuchung ins Labor geschickt. Am 3.Juni triffst du zusammen mit Kolbe vor Ort ein. Rücksendung der Analysen. Erneute Obduktion. Ankunft der Eltern. Die Identität des Jungen wird bestätigt. Alter: acht Jahre. Nachmittags beginnt man damit, von Haus zu Haus zu gehen sowie die Familie und nahen Verwandten zu befragen. Auf der ganzen Linie Fehlanzeige ...«
»Moment mal, geschieht das häufig, dass zwei Obduktionen durchgeführt werden?«, fragte Carrère.
»Nein ... das ist merkwürdig. Als ich vor Ort war, habe ich nur einen Bericht gelesen. Ich wusste nicht, dass es zwei gab.«
Stirnrunzelnd nahm Broissard den ersten an sich.
»Es gibt keinen Fehler im Protokoll. Alles schien ganz normal zu sein. Wieso hat der Rechtsmediziner die Leiche dann ein zweites Mal untersucht?«
»Er hat das getan, gleich nachdem er das Ergebnis der Rückstandsanalysen erhielt«, sagte Carrère, als er den Laborbefund noch einmal durchlas. Die Erde, die in der Lunge des Jungen gefunden wurde. Zusammensetzung: 0,27 Gramm Kalium je Kilogramm; 1,9 Gramm Phosphor; PH-Wert 6. Und dann eine zweite Folge: 0,55 Gramm Kalium; 0,90 Gramm Phosphor; Gesamtkalk 465,34 ... Was bedeutet dieses Kauderwelsch?«
»Es haben sich wohl zwei verschiedene Sorten Erdreich in seinen Lungen befunden.«
»Sie stammen von dem Ort, an dem der Junge umgebracht wurde, und von dem Ort, wo er gefangen gehalten wurde?«, fragte Musil.
»Vermutlich. Aber es gibt noch etwas anderes, das in dem Bericht, den ich gelesen habe, nicht erscheint. Bei der ersten Obduktion stellte der Arzt eine leichte Entzündung und gelborange Flecken unter der rechten Fußsohle fest. ›Die Toxine zeigen, dass das Kind auf einen Hundertfüßer getreten ist.‹«
Broissard verzog das Gesicht. Er hatte ähnliche Male auf der Haut zweier der Opfer in dem Film Neverland gesehen. Seine Intuition hatte ihn nicht betrogen. Der Junge war am selben Ort gefangen gehalten worden wie die Kinder in dem Film.
»Eine Bisswunde von einem Hundertfüßer heilt nach ein bis zwei Wochen. Diese Tierchen mögen kein Tageslicht und leben in einer feuchten Umgebung. Da die Bisswunde im zweiten Obduktionsbericht nicht erwähnt wird, muss der Junge ungefähr fünfzehn Tage vor seinem Tod gebissen worden sein. Das hilft uns nicht weiter!«
»Im Gegenteil, damit lässt sich der Ort, wo er gefangen gehalten wurde, etwas genauer eingrenzen.«
Musil versuchte den Rechtsmediziner telefonisch zu erreichen, doch als nur der Anrufbeantworter dranging, hinterließ er eine kurze
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