Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
Vom Netzwerk:
die Wand.
    Ein Junge ging in ein schmales, fensterloses Zimmer hinein. Rosafarbene Wände mit blauen Pailletten. In der Mitte ein großes Himmelbett. Der Junge warf verängstigte Blicke um sich wie ein gehetztes Tier, gefangen im Bildausschnitt. Er setzte sich aufs Bett und starrte auf etwas, das außerhalb des Blickfeldes der Kamera lag. Nervöse Zuckungen durchliefen sein Gesicht. Er entkleidete sich langsam und zögerte kurz, ehe er seine Unterhose herunterstreifte. Allein in dem weitläufigen Zimmer, verbarg er sein Geschlechtsteil hinter einer Hand. Wieder richtete er die Augen auf etwas, ein Flehen im Blick. Ein nackter, maskierter Mann betrat das Blickfeld der Kamera. Die anderen Kinder wurden ins Bild geschubst und in statischer Einstellung, ohne Schnitt gefilmt.
    Und die Orgie begann.
    Und der Lieutenant steckte einen Schlag nach dem anderen ein. Schrille Schreie, erstickte Seufzer. Sauggeräusche. Die Leinwand wurde zu einem Fenster auf eine Welt widerwärtiger Fantasien und grausamer Wahnideen. Die verrenkten, verdrehten Körper der Kinder vermischten sich mit den Puppen auf dem Boden. Léopold, die Nerven zum Zerreißen angespannt, zog unvermittelt seine Pistole und feuerte zweimal auf das Bild. Der Schlagbolzen schlug ins Leere.
    Keine der Bestien fiel zu Boden.

8
Paris,
Sondereinheit
    Léo fand sein Büro so vor, wie er es vor einer Stunde verlassen hatte. Er war ins Saint-Merri-Bad zum Schwimmen gegangen und fühlte sich ruhiger. Zumindest oberflächlich. Sein Herz pochte noch immer, und er war total durch den Wind.
    Maxime hatte nicht gelogen, als er von einer »ziemlich großen Sache« sprach. Er musste daran denken, dass die Opfer irgendwo – Gott weiß wo – noch immer gefangen gehalten wurden. Oder tot waren.
    Ein weiterer Punkt: Im Augenblick deutete nichts darauf hin, dass die Vergewaltigungen in Frankreich stattgefunden hatten. Falls das Verbrechen außerhalb Frankreichs begangen worden wäre, hätte er Interpol eingeschaltet. Die Erweiterung der Europäischen Union machte die Dinge nicht leichter. Die alten Transferrouten, die noch aus der Zeit der Sowjetunion stammten, funktionierten in Osteuropa weiterhin und dienten dazu, gefälschte Produkte, Drogen und billige Prostituierte nach Westeuropa zu schmuggeln. Jetzt ging es darum, herauszufinden, wer Wind von diesem Netzwerk bekommen hatte und
wie.
    Er loggte sich ins Internet ein und suchte auf seinen bevorzugten Websites Links zu den offiziellen Foren propädophiler Vereinigungen. Die Website der NAMBLA – North American Man/Boy Love Association – wurde angezeigt. Über den Bildschirm lief ein Band mit der im Jahr 1980 verabschiedeten Resolution:
    1. Die North American Man/Boy Love Association fordert die Abschaffung der Altersgrenze für einvernehmliche sexuelle Handlungen und sämtlicher Gesetze, die Männer und Heranwachsende beim freien Gebrauch ihrer Körper behindern.
    2. Wir fordern die psychologische Befreiung aller Männer und Jugendlichen, die ihre Neigungen unter dem Einfluss dieser Gesetze unterdrücken müssen.
    Er meldete sich mit seinem Nutzernamen – Sérapion – und seinem Kennwort im Diskussionsforum der Website an. Schon seit fünf Jahren trieb er sich auf den Internetplattformen verschiedener propädophiler Bewegungen herum. Seine Tarnidentität im Netz war die eines Aktivisten im Dienst ihrer Sache, mit heterosexuellen Präferenzen für Mädchen vor der Pubertät.
    Er musste sich mit den komplizierten Gepflogenheiten des Forums vertraut machen, ehe er an verwertbare Informationen kam. Die für alle zugänglichen Diskussionsrunden boten nur harmloses Geplänkel, raffinierte Sprüche, um Leute zu ködern und so die Reihen derjenigen zu schließen, die an die Sache glaubten. Internetsurfer, die besorgt waren, weil sie sich insgeheim über dem Bild eines Klassenkameraden ihres Sohnes einen runtergeholt hatten, suchten Unterstützung, Antworten, um die Schmach, die an ihren Händen klebte, loszuwerden.
    Léopold klickte auf die Links, die nur beschränkt zugänglich waren. Die Administratoren der NAMBLA blockierten bestimmte Diskussionsrunden, an denen nur Stammmitglieder der Organisation teilnehmen durften. Er wurde sofort zu einer autonomen Website umgeleitet. Im Allgemeinen stöberte er hier seine Informationen auf. Hier ging es nicht mehr um offene Worte im Namen der sexuellen Selbstbestimmung. Und es ging auch nicht darum, »Jüngern«, die sich in diesem verborgenen Forum versammelt hatten, den Rücken zu

Weitere Kostenlose Bücher