Die elfte Geißel
sie mit gedämpfter Stimme.
Er brach in ein nervöses Lachen aus und nahm sich eine Zigarette von ihr. Er versuchte sie anzuzünden, doch die Zuckungen, die ihn durchbebten, hinderten ihn daran. Er drückte sie unbenutzt im Aschenbecher aus.
»Ein Mord? Sonst noch was?«
»Ich weiß. Ich weiß. Das hört sich absurd an, aber vertrau mir. Bitte ...«
Sie sah ihn flehentlich an. Er hielt ihrem Blick einige Sekunden lang stand, bevor er auswich.
»Trotzdem ist deine Geschichte an den Haaren herbeigezogen. Du riskierst viel mehr, als du glaubst.«
Sie küssten sich widerwillig, und Blandine legte ihren Kopf auf Pauls Knie. Sie betete innerlich, dass er die Nacht bei ihr bliebe. Anscheinend konnte er ihre Gedanken lesen, denn während er ihren Busen berührte, fragte er sie:
»Willst du, dass ich bei dir übernachte?«
»Ja, ich will nicht allein sein.«
Sie küssten sich leidenschaftlicher. Die Zungen verwickelten sich ineinander. Die Finger wagten sich weit vor. Vor ihr kniend, streifte Paul ihren Slip herunter. Es roch nach Nylon und einer überreifen Frucht.
Blandine beugte den Oberkörper zurück. Der sprießende Bart irritierte sie. Ein Brennen auf der Haut, das durch den Schweiß noch verstärkt wurde. Sie streckten sich auf dem Bett aus, und er drang in sie ein. Sie spannte sich an, um Paul ganz tief in sich zu spüren. Sie atmeten flach und schnell. Einige Sekunden verharrten sie reglos, um die Spannung zu erhöhen. Dann drehte er sie auf den Bauch, und sie streckte ihm den Hintern hin. Er legte sich auf ihren Rücken. Die Hände auf ihren Brüsten. Die Lippen in ihren Haaren. Ineinander verschlungene Körper, die einen Raum abgrenzten, eine Enklave, die sie mit ihren Armen und ihren Beinen abschirmten. Sie liebten sich leidenschaftlich und erhofften sich beide Vergessen.
Blandine betrachtete sein Gesicht, als er schlief. Anscheinend träumte er gerade etwas, da seine Mundwinkel zuckten. Anschließend ging sie mit einer Zigarette zwischen den Lippen zum Fenster. Ihr Blick schweifte über die Place Beaubourg, die vom Sprühregen glänzte. Der Schlaf floh vor ihr, sosehr sie ihn auch suchte. Unten, im Regen, jagte ein Hund hinter Plastiksäcken her, die der Wind mit sich fortriss.
Blandine öffnete das Fenster und schmiss ihre Kippe hinaus. Die Anspannungen des Tages zogen in umgekehrter Reihenfolge an ihr vorüber. Gedanken und Ereignisse wirbelten in ihrem Geist durcheinander, ehe sie sich nach und nach klärten. Sie ertappte sich dabei, dass sie zitterte. Sie schüttelte sich und führte diese Empfindung auf den peitschenden Eisregen zurück, der die Scheiben erzittern ließ. Aber etwas tief in ihr flüsterte ihr zu, dass die Kälte damit nichts zu tun hatte.
16
Paris,
Wohnung von Capitaine Alain Broissard,
Sondereinheit
Schon seit einer Stunde gingen Brigadier Carrère und Alain Broissard am Telefon noch einmal nacheinander sämtliche Erkenntnisse durch. In der marineblauen Dunkelheit waren durchscheinende Risse zu erkennen, hinter den Fenstern brach gerade der Tag an. Die Wohnung des Capitaine hatte sich in einen riesigen Aschenbecher verwandelt. Kaffeebecher, die von Kippen überquollen, und das schmutzige Geschirr, das sich im Spülbecken anhäufte.
Nach seinem Treffen mit Maxime hatte er nicht schlafen können, und im Rhythmus der gerauchten Zigaretten war die Nacht allmählich dem Morgengrauen gewichen. Vom winzigen Balkon seiner Wohnung aus hatte er das Sternenzelt betrachtet, das sich unter seinen Füßen erstreckte, und in dem funkelnden Lichtermeer nach Sternbildern Ausschau gehalten. Orion von der Pitié-Salpêtrière bis zur Place d’Italie. Cassiopeia zwischen Bercy und der Gare de Lyon. Die Erinnerung an Tatiana hatte ihn in seiner Einsamkeit heimgesucht, und das Gift, das in ihn eingesickert war, war zu einem eisigen Feuer geworden, flüssigem Stickstoff, der ihm in den Venen brannte, und dieses Feuer konnte er nicht mehr löschen. Er hatte gezögert, Léopold anzurufen, um seine Schlaflosigkeit ein wenig mit einem Freund zu teilen, aber die Order war klar: Léo aus alldem raushalten und verhindern, dass er ins Fadenkreuz der internen Ermittler geriet.
Am anderen Ende der Leitung zündete sich der Brigadier eine weitere Zigarette an.
»Ich habe beim Zoll nachgehakt.«
Er hatte gerackert, ohne mit der Wimper zu zucken, und ein gewaltiges Arbeitspensum in kürzester Zeit erledigt. Broissard war froh, dass dieser Polizist mit ihm zusammenarbeitete.
»Keine besonderen
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