Die elfte Geißel
Vorkommnisse. Kein verdächtiger Transit.«
»Was noch?«
»Eine schlechte Nachricht ist, dass die Ermittlungsrichterin extrem pingelig ist. Zwei Anträge auf richterliche Anordnungen wurden abgelehnt und die Personen nach vorläufiger Festnahme wieder sehr schnell auf freien Fuß gesetzt. Aber das eigentliche Problem besteht darin, dass unser Kommissar klein beigibt, angesichts der geringen Aussichten, dass die Ermittlungen in diesem Fall erfolgreich abgeschlossen werden können. Nach Ihrer Abreise aus Le Havre hat er sich sofort wieder den laufenden Ermittlungsverfahren zugewandt, wo es nur um kleine Fische geht. Seit Montag steckt er den Kopf in den Sand und droht mir, die Zügel straffer anzuziehen, wenn die Richterin ihm weiterhin so wenig Spielraum lässt.«
Der Brigadier machte eine Pause. Broissard hörte ihn in einem Notizblock blättern.
»Ich meinerseits habe Folgendes herausgefunden: Die Seeleute und alle anderen, die auf dem Seelenverkäufer arbeiten, sind nicht verdächtig. Wir haben die Hafenarbeiter vernommen und die Einträge im Strafregister abgefragt. Schwarzhandel, Trunkenheit am Steuer, Schlägereien unter Alkoholeinfluss. Der dickste Fisch hat 1991 ein Mädchen vergewaltigt. Acht Jahre ohne Bewährung.«
»Könnte das unser Mann sein?«
»Eher unwahrscheinlich. Ich habe mit seinem Bewährungshelfer gesprochen. Er ist sauber. Eine andere Fährte, die sich als Sackgasse erwiesen hat: Ich habe die Stundenhotels, anrüchige Kaschemmen und Massagesalons abgeklappert und nichts gefunden. Zwei Beamte überprüfen den Lebensstil derjenigen, die auf der Liste stehen. Sie versuchen, Kontoauszüge zu bekommen.«
Broissard runzelte die Stirn. Informationen über Kontobewegungen zu erhalten, ohne dass ein Verdacht auf Betrug oder Steuerhinterziehung im Raum stand, war quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Spur würde zu freundlich lächelnden, aber eisern schweigenden Bankiers und zu Ablehnungen richterlicher Anordnungen führen und wäre reinste Zeitvergeudung, mit dem zusätzlichen Risiko, verklagt zu werden.
»Und wurden alle eingehenden Container ordnungsgemäß registriert? Sind die Papiere in Ordnung?«
»Alles genau nach Plan. Feste Uhrzeiten. Kein Leerlauf.«
»Aber wie konnten sie unbeobachtet hundert Kinderpornos in den Container reinschaffen?«
»Ich habe das Beste für den Schluss aufgehoben. Wir haben herausgefunden, wem der Container gehörte und was für eine Fracht er enthalten sollte. Die Société de Transit Maritime hat ihn für den Transport elektrischer Kabel in der Nordsee gemietet. Die Kabel wurden an einem Strand gefunden.«
»Dann ist es ihnen also gelungen, den ursprünglichen Inhalt des Containers gegen die Schmuggelware auszutauschen?«
»Nein, sie haben den Frachter irgendwo vor Dünkirchen abgepasst, die Kabel ins Meer geworfen und die DVD in den Container geräumt. Und ...«
Broissard sah auf seine Uhr und seufzte. Die Unterredung mit seinem Anwalt rückte näher. Das Gefühl, zu seiner eigenen Beerdigung zu gehen, lag ihm schwer im Magen.
»Wenn man Sie so reden hört, scheint es Ihnen nicht besonders gut zu gehen, Chef.«
Er fing sich wieder und sagte mit einer aufgesetzt kraftvollen Stimme:
»Mach dir um mich keine Sorgen. Ich muss los. Rufst du mich an, wenn du was Neues hast?«
»Abgemacht. Ach, jetzt hätte ich beinahe etwas vergessen: Ich habe ein bisschen in der Pornoszene von Le Havre – Sexshops, Produzenten – herumgeschnüffelt. In der Region gibt es nur sehr wenig Amateurfilme, und das verwendete Material entspricht nicht dem, was wir suchen. Die Spur endet im Departement Nord und verliert sich urplötzlich.«
Als Alain nach seinem Mantel griff, stieß er gegen die Akten und die Zeitungsausschnitte, die sich auf die Affäre in Jarnages bezogen und in einer Ecke übereinandergestapelt waren. Auf der obersten Seite: Gérard Maurois. »Die Bestie«. »Der Kinderschänder, der das Departement Creuse unsicher macht.« Broissard zuckte zusammen und beeilte sich, die Blätter wieder aufzuschichten, als wollte er die Katastrophe im Nachhinein ungeschehen machen.
Die Vorahnung, die ihn die ganze Nacht gequält hatte, konkretisierte sich.
Dies alles würde ein schlimmes Ende nehmen.
Der Anwalt saß in seiner Kanzlei am Boulevard Raspail hinter einem Mahagoni-Schreibtisch und betrachtete seinen Klienten neugierig. Der ungefähr sechzig Jahre alte Mann hatte sich durch die Verteidigung von Medizinern, denen der Entzug der Zulassung durch die
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