Die elfte Jungfrau
das Flämmchen aufflackern, und Almut beeilte sich, Maria zu versichern: »Schon gut, schon gut, der Herr der Rache wird es richten.«
Milde leuchtete nun wieder ihr Antlitz, und Almut fuhr ruhiger fort: »Auch für Corinne haben wir getan, was möglich war. Sie wird bei Lena einziehen und für einen kleinen Lohn bei ihr arbeiten. Immerhin hat sie dort eine eigene Kammer, reichlich zu essen und ein warmes Bettchen für den Jungen. Ich hoffe, die beiden Frauen verstehen sich auf Dauer. Und ich habe noch etwas in die Wege geleitet, Maria. Corinne wird sich bei ihrer Freundin, der Köchin von Sankt Ursula, erkundigen, ob es irgendwelchen Klatsch um die verstorbene Stiftsjungfer gibt. Da habe ich mein Hintertürchen zu den hochnäs... Ist ja schon gut, du sanftmütiges Herz, Maria.«
Almut überwältigte ein Gähnen, und sie schloss müde die Augen. Dann aber öffnete sie sie wieder, denn die Bilder, die sich hinter ihren gesenkten Lidern zeigten, waren nicht für ein Gebet geeignet.
»Armer Florens. Maria, hilf ihm, über seine Verliebtheit hinwegzukommen. Er ist ein viel zu netter Mann, um darunter zu leiden. Und mir verzeih bitte meine Eitelkeit. Aber weißt du, dieses meerblaue Gewand - es ist wirklich sehr schön.«
In dem Flämmchen, das plötzlich blau flackerte, sah es aus, als ob sich die Falten des Gewandes Mariens graziös bewegten, und auf Almuts Gesicht stahl sich ein Lächeln.
»Du verstehst das, Maria, du Freude aller Herzen. Ja, ich weiß, ich bin eine Tochter Evas und nicht ohne Sünde. ›Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu. O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria! Amen.‹«
Das Flämmchen erlosch.
37. Kapitel
V ermutlich erhalte ich Zutritt, Begine. Aber was bringt es?«
Pater Ivo saß neben Almut auf der Bank im Kräutergarten in der Frühlingssonne und sah sie zweifelnd an.
»Zum einen könntet Ihr ihm wirklich Trost spenden, indem Ihr ihm erzählt, dass wir uns bemühen, ihn frei zu bekommen. Zum anderen könnte Euch auch eine Vorstellung davon anfliegen, wie man diesen Vorgang beschleunigen könnte.«
»Ihr wollt mich schon wieder zu ungesetzlichem Tun verleiten.«
»›Siehst du, wie im Lande der Arme Unrecht erleidet und Recht und Gerechtigkeit zum Raub geworden sind...‹«
»Dann wundere ich mich genauso wenig darüber wie der Prediger. Also gut, ich werde den Jungen besuchen.«
Pater Ivo erhob sich und mit ihm die Begine.
»Nein, Ihr bleibt hier. Ich komme zurück und berichte Euch. Es sind ja nur einige Schritte von hier.«
Gehorsam nickte Almut und blieb an dem Stapel Bauholz stehen, der in Kürze das Dach der Kapelle bilden sollte. Sie hatte noch nicht lange an dem Bauwerk gearbeitet, als der Benediktiner wieder zurückkam. Er sah ernst drein.
»Es ist ein Gemach im Turm, übel riechend und dunkel. Sechs Bettstätten sind darin, vier belegt. Bertram ist, wie die andern, mit einem starken Lederriemen an einem Fuß an das Bett gefesselt. Er kann sich zwar hinsetzen oder neben dem Bett stehen, aber sich ansonsten nicht bewegen. Man hat ihm alle Kleider außer der Bruche und dem Hemd genommen. Die drei anderen Insassen sind stumpfe Idioten, die lediglich an die Decke starren oder, wie er sagt, hin und wieder tierische Laute von sich geben und um sich schlagen.«
»Wahrscheinlich wird man zum stumpfen Idioten, wenn man lange genug im Tollhaus war.«
»Vielleicht. Aber einer von ihnen ist ein Krüppel, ehemaliger Söldner, der den Kopf eingeschlagen bekommen hat, der andere scheint eine Missgeburt zu sein mit einem riesigen Kopf und seltsam geformten Augen. Der dritte, behauptet der Wächter, ist einer, der bei Vollmond in Raserei verfällt und schon mehrere Menschen verletzt hat.«
»Bertram ist kein gefährlicher Irrer.«
»Begine, er mag kein Irrer sein, aber er ist gefährlich.«
»Er muss beaufsichtigt werden, da stimme ich Euch zu. Aber nicht wie ein Tier angekettet. Solange er keine Anfälle hat, ist er ein einfühlsamer junger Mann und ein begnadeter Künstler. Und, Pater Ivo, er selbst weiß um sein Leid und hat auch schon einen Weg gefunden, den er einschlagen will. Hat er Euch das nicht anvertraut?«
»Ich habe nur wenig mit ihm sprechen können. Was hat er vor?«
»Er möchte zu Euch ins Kloster kommen. Als Mönch in Eurer Gemeinschaft wäre er gut aufgehoben.«
»Das Kloster ist kein Spital. Aufnahme finden nur jene, die sich berufen fühlen, ein gottgeweihtes Leben zu führen.«
Almut nickte ernsthaft und
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