Die elfte Jungfrau
streckte sich.
»Es war eine lange Nacht für uns. Und noch immer warten Fäuste voll Mühen auf mich. Vor allem muss ich spätestens Mitte nächster Woche wieder auf dem Gut sein und noch Vorbereitungen dazu treffen. Vorher aber berichte ich Euch, Begine. Nun läuten die Glocken schon zur Non, und ich werde Euch zu Eurem Heim zurückbegleiten.«
Almut war einverstanden, denn sie wollte gerne über alles in Ruhe nachdenken. Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete sie sich von Trine, erhielt von Meister Krudener noch eine kandierte Kirsche und machte sich an der Seite des Benediktiners auf den Weg.
Eine lange Strecke schwieg Almut, aber als sie sich hinter der Dombaustelle befanden, fragte sie: »Werdet Ihr Bertram wirklich aufnehmen, Pater?«
»Ich spreche mit Theo darüber. Es scheint, in Anbetracht dessen, was wir herausgefunden haben, eine kluge Lösung zu sein. Bei uns ist er sicherer als bei seiner Mutter.«
»Ja, es wird immer jemand auf ihn achten, und Euer Infirmarius ist ein guter Mann.«
»Nicht nur das, Begine. Wenn es tatsächlich so ist, dass sein Oheim die Jungfrauen umgebracht hat und er möglicherweise die Zusammenhänge ahnt, dann wird auch er ihm gefährlich sein. Denn dieses Wissen könnte ja plötzlich in seinen Verstand dringen.«
»Maria hilf, natürlich! Wie grauenhaft!«
Almut schwieg eine Weile und platzte dann heraus: »Können wir denn wirklich nichts ändern? Muss denn das alles seinen Lauf nehmen?«
»›Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen.‹«
»Ja, Pater, das ist es, was mich an dem Prediger schon von Anfang an so verdrießlich stimmt. ›Was da ist, ist längst mit Namen benannt, und bestimmt ist, was ein Mensch sein wird.‹ Er meint, man sei dem Schicksal ausgeliefert, nicht wahr?«
»Es ist seine Auffassung, Begine. Das habt Ihr richtig erkannt.«
»Ja, aber dann haben wir keinen freien Willen, sondern müssen uns dem Schicksal beugen!«
»Eine Vorstellung, die Euch nicht behagt. Ich weiß, Begine. Aber ich habe eine Zeit in meinem Leben versucht, mich den höheren Mächten klaglos unterzuordnen.«
»Habt Ihr das? Ist es Euch gelungen?«
»Nein, Begine. Genauso wenig wie Euch.«
»So kann man denn doch etwas ändern?«
»Ich will es gerne glauben. Seht, eine kenntnisreiche Weberin, die weiß, wie man ein Muster gestaltet, kann es auch abwandeln, oder?«
»Zumindest kann sie einen andersfarbigen Schussfaden nehmen oder das Muster beenden und ein neues beginnen. Das stimmt.«
»Ich denke, wir können davon ausgehen, Begine, dass wir, innerhalb der gegebenen Möglichkeiten, unseren freien Willen haben. Wir können zwar nicht den Lauf der Sonne und des Mondes verändern. Aber die Weberin kann sich selbst verändern.«
»Und der Weber?«
Pater Ivo blieb vor dem Tor des Beginenhofes stehen und drehte sich ihr zu.
»Auch der, Begine. Ich habe den Glauben daran zurückgewonnen, dass die Dinge, die man wirklich will, auch erreichbar sind. Ihr habt mir dabei nicht unerheblich den Weg gewiesen.«
»Ich?«
»Ja, Begine. Und ich schulde Euch mehr als Dank dafür. Passt daher gut auf Euch auf. Möge Eure Herrin, die Königin des Himmels, ihre schützende Hand über Euch halten und Euch Geduld bei Eurer Webarbeit schenken.«
38. Kapitel
A uf der Waschbank am Trankgassentor wurde geklatscht. Zum einen die Wäsche auf die Holzbretter, zum andern über die Besitzer dieser Wäsche.
»Wirst dir bald einen anderen Herrn suchen müssen, Gritt!«, bemerkte eine der Waschfrauen und knallte den Wäschebleuel mit Schwung auf ein Leinenhemd. »Dein Pater Leonhard sitzt dicke drin. Würd’ mich nicht wundern, wenn der die Stadt verlässt.«
Gritt nickte, und dank ihrer Tochter Lissa konnte sie einige pikante Einzelheiten zu dessen Lebenswandel liefern.
»Ist bei den Pfaffen wie bei den Nonnen!«, wusste eine andere hinzuzufügen und hielt ein verräterisches Betttuch hoch. »Wasch ich für die Zisterzienserinnen im Mariengarten.«
Die Wäscherinnen nickten wissend, und Gritt bearbeitete mit der Bürste einen besonders hartnäckigen Fleck auf des Priesters Laken, während Lissa neben ihr Tücher im Rheinwasser ausschwenkte.
»Ich bin nicht bös drum, wenn ich für den Pfaffen nicht mehr waschen muss«, brummte Gritt beim Schrubben. »Der will sowieso nur zweimal im Jahr gewaschen haben. Ich werd’ schon noch was finden. Die Beginen, sagt Lissa, machen häufig Wäsche, alle zwei Monate.«
Sie legte die Bürste weg
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