Die elfte Jungfrau
Tätigkeit aber jetzt leichter von der Hand zu gehen. Stunde um Stunde hielt sie sich im Refektorium auf und ließ das Weberschiffchen hin- und hergleiten. Irma hatte ihr ein Knäuel von dem safrangelben Seidengarn gegeben, aus dem sie den Stoff für Aziza hergestellt hatten, und Rigmundis hatte sie einige Goldfäden abgeschwatzt. Die Muster, die sie entwarf, nötigten sogar Ursula einigen Respekt ab, aber darauf angesprochen, antwortete sie nur einsilbig.
Lediglich Gertrud wagte einmal, die mutige Frage zu stellen, ob sie sich mit ihrem Pater gezankt habe.
»Nein, Gertrud. Es ist alles in Ordnung.«
»Nun, dann ist ja gut.«
Aber dann stellte sie ihr doch einen Becher warmer Mandelmilch hin, die mit Honig und Zimt gewürzt war. Das entlockte Almut ein kleines Lächeln. Ansonsten ließen die anderen Beginen sie in Ruhe.
Am Sonntag waren sie wieder zur Pfarrkirche an Groß Sankt Martin, Sankt Brigiden, gegangen, so wie sie es während des Schöffenstreites, als Pater Leonhard beim Erzbischof weilte, auch getan hatten. Corinne hatte sie begleitet und einmal kurz erwähnt, ein Benediktinermönch habe ein langes Gespräch mit Frau Lena geführt. Almut hatte das nur zur Kenntnis genommen, aber nichts weiter dazu gesagt. Irgendwann am Dienstag hatte Almut dann viele Ellen fertiger Borten aufgewickelt, und Rigmundis, die sie mit kundigem Blick bewunderte, fragte: »Was wirst du damit tun?«
»Meiner Schwester verkaufen.«
»Eine schöne Farbe. Sie würde auch dir stehen.«
»Ja.«
»Aber du wirst ein grünes Kleid tragen, wenn das Flügelrauschen der wilden Gänse die Luft erfüllt und ihre heiseren Rufe den Frühling künden. ›Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist dahin und vorbei. Die Blumen sind aufgegangen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserem Land.‹«
»Rigmundis?«
Die Seherin hatte ein verträumtes Lächeln auf den Lippen und schüttelte sachte den Kopf.
»Ein Text, den ich einmal hörte. Aber er scheint mir zu passen.«
In ihrer etwas fahrigen Art wandte sie sich wieder ab und verließ das Refektorium.
»Wollen wir wirklich hoffen, dass der Regen bald aufhört!«, seufzte Magda. »Man wird ja richtiggehend trübsinnig.«
»Und die Wäsche trocknet auch nicht«, beklagte sich Judith.
»Und die Mädchen sind grämlich. Und dieser Päckelchesträger aufsässig«, beschwerte sich Clara.
»Und ich bin den ewigen Hering leid!«, maulte Agnes.
»Und noch drei Wochen Grütze und Fisch und Fisch und Grütze«, ächzte auch Irma.
»Und die letzte Predigt war so tranig wie der Fastenspeck«, jammerte Bela.
»Und du machst noch nicht einmal den Mund zum Disputieren auf, Almut!«, mäkelte Elsa.
»Ich könnte Euch ja ein Lied vorsingen!«
»Da seien aber Maria und alle Heiligen vor!«, fuhr Gertrud auf. »Das überlass unserer Ursula.«
»Ich habe Halsschmerzen von diesem kalten Wind bekommen!«, weigerte sich die Angesprochene.
Kurzum, die Stimmung war lustlos und nörglerisch, als Bela von der Pforte kam und Pater Ivo meldete.
»Er möchte Euch sprechen, Meisterin!«, trug sie vor.
»Dann muss ich wohl zu ihm gehen.«
Magda warf sich ein Umschlagtuch über Schultern und Kopf, schlüpfte in die hölzernen Trippen und folgte der Pförtnerin nach draußen. Kurz darauf kam sie zurück und gab Almut einen Wink.
»Er will mit dir unter vier Augen reden. Nimm ihn mit zu dir, aber lass die Tür offen.«
»Ja, Magda.«
Pater Ivo stand bereits vor dem Eingang des Häuschens, die Kapuze der tropfenden Kukulle tief in die Stirn gezogen.
»Lasst den Umhang hier unten, Pater!«, schlug Almut vor und ging die Stiege voran nach oben in ihre Kammer. Er folgte ihr und nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz. Sein Blick fiel auf das Kätzchen, das neben der Maria mit verschmitztem Blick seine Pfote putzte. Er nahm es vorsichtig in die Hand.
»Bertram?«
Almut hatte sich auf ihre Truhe gesetzt und antwortete einfach: »Ja.«
»Er hat Talent. Wahrlich. Ich habe ihm sein Handwerkszeug zu Krudener bringen lassen, aber seit gestern ist er bei uns, Begine. Bruder Markus glaubt, die Beschäftigung mit seiner Kunst könne möglicherweise seine Heilung fördern.«
»Es würde mich sehr für ihn freuen. Ist der ehrwürdige Vater einverstanden?«
»Er wird das Noviziat antreten, doch wir werden ihm zunächst nicht erlauben, die Gelübde abzulegen.«
»Ja, er braucht Zeit. Aber Ihr seid nicht zu mir gekommen, um mir von Bertram zu berichten.«
»Doch,
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