Die elfte Jungfrau
auch. Aber Eure Neugier, Begine, scheint selbst von diesem dauerhaften Regen nicht gedämpft zu werden.«
»Ihr habt mich zur Untätigkeit verdammt, Pater, aber wenigstens mein Geist darf sich doch noch bewegen, oder?«
»So habt Ihr mir gehorcht?«
»Selbstverständlich, Pater.«
»Ihr müsst unsagbar gelitten haben, Begine.«
»Ich habe seit unserem Treffen den Mund nicht aufgemacht.«
»Dann dürft Ihr sogleich Eure Zunge aus ihrem Gefängnis befreien. Hört aber zunächst zu.«
Pater Ivo und Meister Krudener hatten das eine oder andere herausgefunden. Der Benediktiner begann mit den Lebensumständen von Claas Schreinemaker, so weit sie ihnen inzwischen geläufig waren. Neunundzwanzig Jahre war er alt, sechs Jahre jünger als seine Schwester. Sein Vater war Tischlermeister in Rodenkirchen, er stellte Möbel her, aber auf seine Art war er auch ein Schreinemacher, denn vor allem fertigte er Särge an. Claas lernte seit seinem zehnten Lebensjahr bei ihm. Die Eltern waren sehr strenggläubig, vor allem aber die Mutter schien mehr als fromm zu sein. Sie verehrte die Heiligen mit Inbrunst und war eine Sammlerin von Reliquien. Durch ihren Einfluss wandte sich Claas der Schnitzerei von Reliquiaren zu. Für Lena wünschte sie sich das Klosterleben, doch die Nonnenklöster lehnten es ab, eine einfache Handwerkertochter aufzunehmen. Dann wurde die Mutter leidend, und Lena übernahm ihre Pflege. Sie starb, als die Tochter um die zwanzig war. Nachdenklich fügte Pater Ivo hinzu: »Zu der Zeit muss sie wohl einmal aufbegehrt haben, denn das scheint mir das Alter zu sein, in dem Bertram gezeugt wurde.«
»Richtig, Pater, doch aufbegehrt hat Lena nicht. Der Pfarrer des Dorfes hat sie vergewaltigt«, berichtigte ihn Almut.
Er sah sie fragend an.
»Bela kennt sie aus jener Zeit. Der Pfarrer wurde übrigens kurz darauf mit durchschnittener Kehle in seinem Garten gefunden. Man trauerte nicht sonderlich um ihn.«
»Aber man könnte Vermutungen anstellen. Das führt allerdings jetzt zu weit.«
»Richtig.«
Pater Ivo berichtete weiter, der alte Tischler sei auch bald gestorben. Der Gram über den Fehltritt seiner Tochter, so hieß es, habe ihn dazu gebracht, sich in der Werkstatt aufzuhängen. Auch Claas war ziemlich verstört, der Tod der Eltern, vor allem aber der Mutter, hatte ihn wohl zutiefst erschüttert. Lena kümmerte sich um ihren Sohn und ihren Bruder, indem sie durch Pastetenbacken das nötige Geld verdiente, damit Claas in der Lage war, seine Lehre zu beenden. Zwei Jahre war er auf Wanderschaft gewesen, mit einundzwanzig kam er zurück und arbeitete dann bei einem Tischlermeister am Holzmarkt. Dessen Geschäft hat er vor zwei Jahren übernommen, als der alte Meister sich zu seiner Tochter zurückzog.
Almut ergänzte den Bericht: »Zu der Zeit ist Lena zu ihm gezogen, um ihm den Haushalt zu führen. Und jetzt, da er selbstständig arbeitet, wollte sie ihn unbedingt verheiraten. Aber er hatte angeblich kein Interesse daran, sich zu binden. Wäre wünschenswert zu wissen, warum, nicht wahr?«
»Wünschenswert ja, aber im Augenblick nicht möglich, es herauszufinden. Dagegen gibt es noch eine Angelegenheit, die mir auffällig erscheint. Die Pastetenbäckerin hat nicht nur Maike ihrem Bruder als mögliches Eheweib vorgeschlagen, sondern auch das Lehrmädchen der Seidweberin.«
»Die Marie? Wie entsetzlich.«
»Ja. Und nachdem die sich angeblich ertränkt hat, hat sie ihre Versuche eingestellt, weil, wie sie sagt, diese Verluste alte Wunden bei ihrem Bruder aufreißen würden.«
»Der Tod der Mutter, vermutlich.«
»Ja, das meinte sie wohl.«
»Lena hält große Stücke auf ihn, nicht wahr?«
»Das tut sie, und auch der Junge ist seinem Oheim sehr zugetan. Er hat beinahe Vaterstelle an ihm vertreten und auch seine Fähigkeiten gefördert. Nach außen hin, Begine, ist der Schreinemaker ein ehrbarer und anständiger Mann. Seine Kunden stellt er pünktlich zufrieden, seinen Nachbarn gegenüber ist er zwar zurückhaltend, aber hilfsbereit, die Frauen scheinen ihn zu mögen.«
»Zu ihrem Schaden. Aber wir haben dadurch keinen Anhaltspunkt mehr gewonnen, nicht wahr?«
»Nein, aber dieses Wissen ist nicht nutzlos, sondern gibt die Rahmenbedingungen vor, innerhalb deren er handelt. Denkt an Euer Muster, Begine.«
»Seine Lebensfäden, richtig.«
»Zu denen sich jetzt drei greifbare Dinge gesellen. Das Hündchen, das Ihr erwähnt habt, gehörte in der Tat zu den ersten Schnitzversuchen des Jungen, die er bei seinem
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