Die elfte Jungfrau
ist die siebte Jungfrau. Die aus Rigmundis’ Vision.«
»Ach du lieber Herr Jesus, nicht schon wieder. Almut, ich kann dich nur sehr eindringlich bitten, dich von dieser Sache fernzuhalten. Es betrifft uns nicht.«
»Hoffentlich.«
14. Kapitel
P ia hatte einen Weg gefunden, ungesehen aus dem Kloster zu entwischen. Es war ganz einfach, als sie erst einmal an der vor sich hin dämmernden Schwester vorbeigehuscht war. Die Novizin nutzte den Umstand aus, dass beinahe alle Schwestern mit einer bösen Grippe darniederlagen und die Aufsicht nur mehr lässig geführt wurde. Auch die Pforte war des Nachts unbesetzt. Sie hatte den Riegel mit etwas Öl beträufelt, den Schlüssel leise umgedreht und war schon hinausgeschlüpft.
Auf diese Weise hatte sie den Mann getroffen - und ach …
Sicher, sie hatte kaum gewagt, die Augen zu heben und ihren Namen zu hauchen. Aber er hatte zärtliche Worte für sie gefunden und aufregende Versprechungen gemacht. Nur kurz hatten sie beieinander gestanden, dann war sie wieder zurückgeeilt in die atmende, schnupfende und hustende Obhut des Dormitoriums und hatte sich die Decke fest über die Ohren gezogen, um sich ihren unkeuschen Träumen zu widmen. Es war Sünde, natürlich. Es war eine schreckliche Sünde, aber so süß!
Die Strafe folgte auf dem Fuße.
Nicht, dass sie entdeckt worden wäre. Vielmehr hatte sie etwas herausgefunden. Denn schon am folgenden Sonntag, nach dem Kirchgang, hatte sie den Geliebten ihrer Träume mit einem anderen Weib auf der Gasse gesehen. Er schien so vertraulich mit ihr zu sein, lachte und scherzte mit ihr und hatte den Arm um ihre Hüften gelegt.
Gallebitter und brennend war die Eifersucht in ihr aufgewacht und vergiftete nun Tag und Nacht immer mehr ihre Gedanken. So eifrig, wie sie einst den Herrn Jesus angebetet hatte, so eifrig wütete sie jetzt gegen die unbekannte Rivalin. Und ebenso eifrig waren ihre Ohren - zugegebenermaßen sehr hübsche - darauf ausgerichtet, allerlei Informationen aufzunehmen, die ihr würden helfen können, die Liebe des Mannes zurückzugewinnen, von dem sie glaubte, er sei die Antwort auf all ihre jungfräulichen Gebete.
Ein kleines Teufelchen hatte dem Gerücht ein Nest in ihrem Hinterkopf gerichtet, es gäbe in der Stadt einen Hexenmeister, der Zaubertränke herstelle. Auch solche, die ungetreue Liebhaber zurückholen konnten. Da Pia von großer Glaubensfähigkeit war, belebte sie der Gedanke mehr und mehr, je weiter sich das ätzende Gift des Zweifels in ihre Seele fraß. So hatte ihr zweiter Ausbruch, noch vor der abendlichen Komplet, jenen geheimnisvollen Magier zum Ziel. Im Halbdunkel des frühen Februarabends schlich sie im Schatten der Häuser Richtung Neuer Markt. Sie zitterte, nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst.
Es waren noch immer einige Passanten unterwegs, doch kaum einer kümmerte sich um die verhuschte Novizin im schwarzen Kittel. Sie hätte auch eine Magd oder Krämersgehilfin sein können. Als sie das schmalbrüstige Haus jenes gefährlichen Mannes erreicht hatte, zauderte sie noch eine Weile, blieb neben der Türnische stehen und sammelte allen Mut, um einzutreten.
Eine blondbezopfte junge Frau nahm ihr die Entscheidung schließlich ab. Sie trat mit einem runden Weidenkorb am Arm aus der Apotheke, schnupperte kurz in die kalte Luft und drehte sich dann zu Pia um. Mit ein paar fragenden Gesten wollte sie wissen, was ihr Begehr sei. Die Novizin stutzte zunächst, denn die Fragende verwendete die Zeichen, die auch die Nonnen während der Schweigestunden benutzten, um sich einfache Botschaften zu übermitteln. Aber dann fiel ihr das Gerücht ein, das auch von einer Taubstummen erzählt hatte, die ebenfalls die geheimen Künste beherrschte. Unsagbar erleichtert, nicht mit dem berüchtigten Alchemisten selbst sprechen zu müssen, folgte sie der Schweigenden in den höhlenartigen Apothekenraum.
Die Stumme verstand. Sie verstand nur zu gut. Und zu Pias Entsetzen lachte sie sie aus. Sie wies auf die Töpfe mit Salbei und Gewürznelken, Asafoetida und Ringelblumensalbe und bedeutete ihr, sie heilten die Krankheiten des Leibes auf Grund der natürlichen Kräfte der Kräuter, seien aber nicht zauberwirksam. Doch sie bot ihr eine klebrige Butterkaramelle an, von der sie behauptete, ihre Süße würde sich lindernd auf ihren Liebesschmerz auswirken.
»Trost, nicht Magie erhältst du von uns, Novizin!«, gab sie ihr mit einem Lächeln zu verstehen, das Pia leider nicht so zu deuten wusste, wie es gemeint
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