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Die Elite

Die Elite

Titel: Die Elite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiera Cass
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vornübergebeugt da, hatte eine Hand gegen die Stirn gepresst und wirkte, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Doch keine von ihnen schien empört zu sein. Warum bloß nicht?
    »Fünf!«
    Marlees Schreie würden mich den Rest meines Lebens verfolgen. Noch nie zuvor hatte ich etwas Ähnliches gehört. Genau wie das abscheuliche Echo der Menge, die johlte, als sei das Ganze reine Unterhaltung. Und Maxons Schweigen, das dies alles zuließ. Und das Weinen der Mädchen um mich herum, die es einfach hinnahmen.
    Das Einzige, was mir so etwas wie Hoffnung einflößte, war Carters Verhalten. Obwohl er vor Schmerzen zitterte, gelang es ihm noch, ein paar tröstende Worte an Marlee zu richten.
    »Es ist … bald vorbei«, stieß er keuchend hervor.
    »Sechs!«
    »Ich liebe … dich«, stammelte er.
    Ich hielt es nicht mehr länger aus und versuchte meinen Bewacher zu kratzen, doch der dicke Stoff seiner Uniform schützte ihn, und er packte mich nur noch fester.
    »Nehmen Sie die Hände von meiner Tochter!«, brüllte Dad und zerrte an den Armen des Wachmanns. Das verschaffte mir ein wenig Raum, und ich wand mich so weit los, bis ich ihm gegenüberstand und ihm mit voller Wucht das Knie zwischen die Beine rammen konnte.
    Der Mann stieß einen erstickten Schrei aus und stürzte rücklings zu Boden, wobei Dad seinen Sturz abfing.
    Eingeschränkt wegen des Kleids und der hohen Schuhe sprang ich ungeschickt über das Geländer. »Marlee! Marlee!«, rief ich und lief, so schnell ich konnte. Fast hatte ich die Stufen zum Podest erreicht, als mich zwei Wachen einholten. Gegen sie konnte ich nichts mehr ausrichten.
    Von meiner jetzigen Position aus hinter dem Podest sah ich, dass sie Carters Rücken entblößt hatten. Seine Haut war aufgeplatzt und hing bereits in Fetzen herunter. Blut tropfte auf seine Uniformhose. Den Zustand von Marlees Händen mochte ich mir gar nicht vorstellen.
    Doch allein der Gedanke daran ließ mich noch hysterischer werden. Verzweifelt schrie ich und trat nach den Wachen, aber alle Anstrengungen führten nur dazu, dass ich einen meiner Schuhe verlor.
    Während der maskierte Mann den nächsten Hieb ankündigte, wurde ich unsanft zurück zum Palast gezerrt. Ich wusste nicht, ob ich dankbar sein oder mich schämen sollte. Einerseits musste ich das Ganze jetzt nicht mehr mit ansehen, andererseits hatte ich das Gefühl, dass ich Marlee im schlimmsten Augenblick ihres Lebens im Stich gelassen hatte.
    Wenn ich eine wahre Freundin gewesen wäre, hätte ich es dann nicht besser gemacht?
    »Marlee!«, brüllte ich. »Marlee, es tut mir leid!« Doch die Menge tobte wie verrückt, und Marlee weinte so sehr, dass sie mich nicht hörte.

10
    W ährend des gesamten Rückwegs schrie ich und versuchte um mich zu schlagen. Doch die Wachen hielten mich so fest umklammert, dass ich später lauter blaue Flecken haben würde.
    »Wo ist ihr Zimmer?«, hörte ich einen von ihnen eine Dienerin fragen, die gerade den Gang entlangkam. Ich kannte sie nicht, aber sie wusste genau, wer ich war, und führte sie bis zu meiner Tür. Als meine Zofen öffneten, protestierten sie lauthals gegen die Art, wie ich behandelt wurde, jedoch ohne Erfolg.
    »Beruhigen Sie sich, Miss. Das gehört sich nicht«, knurrte einer der Männer, als sie mich schließlich auf mein Bett warfen.
    »Verlassen Sie verdammt nochmal mein Zimmer!«, brüllte ich.
    Anne, Mary und Lucy eilten mir sogleich zu Hilfe. Mary versuchte den Dreck von meinem Kleid zu wischen, doch ich schlug ihre Hände weg. Sie hatten es gewusst. Sie hatten es gewusst, und sie hatten mich nicht gewarnt.
    »Ihr auch!«, schrie ich sie an. »Ich will, dass ihr alle verschwindet! SOFORT !«
    Bei diesen Worten schraken sie zurück, und das Zittern, das durch Lucys schmalen Körper ging, ließ mich das Gesagte fast bedauern. Aber ich musste jetzt allein sein.
    »Es tut uns so leid, Miss«, sagte Anne und zog die anderen beiden von mir weg. Sie wussten, wie nah ich Marlee stand.
    Marlee …
    »Verschwindet einfach«, flüsterte ich, wandte mich ab und vergrub mein Gesicht in den Kissen.
    Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, streifte ich den verbliebenen Schuh ab und legte mich richtig ins Bett. Endlich fügten sich die vielen winzigen Details zu einem Ganzen zusammen. Das war also das Geheimnis, das Marlee aus Angst nicht mit mir geteilt hatte. Ihr lag nichts daran, im Palast zu bleiben, weil sie nicht in Maxon verliebt war, aber sie wollte auch nicht abreisen und damit von Carter getrennt

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