Die Elite
ungewohnten Situationen zurechtkomme. Ich weiß es nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer, bestimmt habe ich versagt.«
Maxon seufzte und richtete den Blick ins Leere. »Vater wollte außerdem noch mit mir über das Casting sprechen. Ich glaube, er dachte, der Abstand würde mir guttun und mir eine andere Sicht auf die Elite verschaffen. Aber ich habe es wirklich satt, dass alle sich in eine Entscheidung einmischen, die
ich
treffen soll.«
Ich war mir sicher – die Vorstellung des Königs von einer »anderen Sicht« bedeutete für ihn nichts anderes, als dass Maxon mich endlich aufgab. Ich hatte schließlich gesehen, wie er die anderen Mädchen bei den Mahlzeiten anlächelte oder ihnen auf den Gängen zunickte. Bei mir tat er das nie. Sofort fühlte ich mich schlecht und wusste nicht mehr, was ich sagen sollte.
Maxon offenbar auch nicht.
Ganz bestimmt war jetzt nicht der geeignete Moment, um ihn zu dem Tagebuch zu befragen. Das alles schien ihn ziemlich zu quälen – wie er regieren sollte, was für eine Art von König er sein wollte. In dieser Situation konnte ich keine Antworten von ihm fordern, die er vielleicht gar nicht kannte. Ein winziger Teil von mir wurde jedoch den Gedanken nicht los, dass er mehr wusste, als er je zugeben würde. Aber bevor ich mit ihm sprach, musste ich erst noch mehr herausfinden.
Maxon räusperte sich und zog ein kleines Perlenarmband aus der Hosentasche.
»Wie gesagt, wir sind auch durch ein paar Städte gekommen, und da habe ich dies hier auf einem Basar entdeckt. Ich musste sofort an dich denken. Du magst doch Blau, oder?«
»Ich liebe Blau«, flüsterte ich.
Gerührt betrachtete ich das Armband in seiner Hand. Ein paar Tage zuvor war Maxon auf der anderen Seite der Erdkugel gewesen und hatte beim Anblick des Armbands an mich gedacht.
»Für die anderen Mädchen habe ich leider nichts gefunden, kann das also bitte unter uns bleiben?«
Ich nickte.
»Du warst ja nie der Typ, der angibt«, murmelte er.
Ich konnte den Blick gar nicht mehr von dem Armband wenden. Es wirkte so hübsch mit seinen polierten Perlen. Entzückt streckte ich die Hand aus und fuhr mit dem Finger darüber.
»Soll ich es dir anlegen?«
Ich nickte und hielt ihm das noch freie Handgelenk hin. Maxon legte mir die kühlen Perlen auf die Haut und verknotete das kleine Band, das sie zusammenhielt.
»Bezaubernd«, sagte er.
Und da war sie wieder und drängte sich an allen Bedenken vorbei – die Hoffnung.
Ganz plötzlich sehnte ich mich nach ihm und wollte alles, was seit Halloween passiert war, ungeschehen machen. Ich wollte diese Nacht zurückholen und diese beiden Menschen auf der Tanzfläche am liebsten für immer festhalten. Doch im selben Moment sank mein Mut wieder. Wäre es noch wie an Halloween, hätte ich gar keinen Grund gehabt, sein Geschenk anzuzweifeln.
Und selbst wenn alles stimmte, was mein Vater über mich sagte – nie könnte ich wie Kriss sein. Kriss war einfach besser.
Ich war so müde, angespannt und verwirrt, dass mir die Tränen kamen.
»America?«, fragte Maxon zögernd. »Was ist denn?«
»Ich verstehe es einfach nicht.«
»Was verstehst du nicht?«, fragte er leise, und mir fiel auf, wie viel besser er mittlerweile mit weinenden Mädchen umgehen konnte.
»Dich«, sagte ich. »Ich bin jetzt wirklich verwirrt wegen dir.« Ich wischte mir eine Träne von der Wange, und er tupfte mir sanft eine weitere Träne auf der anderen Seite weg.
Irgendwie war es seltsam, wieder auf diese Weise von ihm berührt zu werden. Und gleichzeitig war es so vertraut, dass es mir falsch vorgekommen wäre, wenn er es nicht getan hätte.
»America«, sagte er ernst, »wann immer du etwas über mich wissen willst – was für mich zählt oder wer ich bin –, brauchst du mich nur zu fragen.«
Er blickte mich so aufrichtig an, dass ich ihn fast angefleht hätte, mir alles zu erzählen – ob er Kriss schon die ganze Zeit in Betracht gezogen hatte, ob er den Inhalt der Tagebücher kannte, was es mit diesem kleinen Armband auf sich hatte, bei dessen Anblick er an mich denken musste.
Aber woher sollte ich wissen, ob er die Wahrheit sagen würde? Und – da mir langsam klar wurde, dass er die verlässlichere Wahl war – was war mit Aspen?
»Ich weiß nicht, ob ich dazu schon bereit bin.«
Maxon dachte einen Augenblick nach, dann sah er mich an. »Ich verstehe. Jedenfalls glaube ich das. Aber wir sollten uns sehr bald ernsthaft unterhalten. Und wenn du bereit bist, bin ich
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