Die Elite
die Stimme zu erheben, doch in diesem Augenblick konnten wir nicht mehr an uns halten.
»Weiß jemand, was los ist?«, rief Celeste, die für ihre Verhältnisse ungewöhnlich betroffen wirkte.
»Ihr glaubt doch nicht, dass ihnen etwas passiert ist, oder?«, fragte Elise.
»Oh nein«, stöhnte Kriss.
»Schon gut, Kriss. Nimm noch ein Stück Kuchen«, versuchte Natalie sie abzulenken.
Ich war wie erstarrt und hatte Angst, auch nur darüber nachzudenken, was das Ganze bedeuten konnte.
»Was ist, wenn sie gefangen genommen wurden?«, fragte Kriss besorgt.
»Ich glaube nicht, dass die Führung in New Asia so etwas tun würde«, entgegnete Elise, obwohl ich ihr ansah, wie beunruhigt sie war. Allerdings war mir nicht klar, ob ihre Sorge Maxons Sicherheit galt oder der Tatsache, dass ein solcher Akt, ausgeübt von Menschen, mit denen sie eng verbunden war, ihre Chancen auf die Krone zerstören würde.
»Und wenn ihr Flugzeug abgestürzt ist?«, sagte Celeste leise.
Sie blickte hoch, und ich bemerkte überrascht die aufrichtige Sorge, die sich in ihrem Gesicht widerspiegelte. Ihre Worte ließen uns alle verstummen.
Was, wenn Maxon tot war?
Im selben Augenblick kehrte Königin Amberly mit Silvia im Schlepptau zurück, und wir alle sahen sie erwartungsvoll an. Zu unserer großen Erleichterung strahlte sie übers ganze Gesicht.
»Ich habe gute Neuigkeiten, meine Damen. Der König und der Prinz kehren noch heute Abend zurück!«
Natalie klatschte begeistert in die Hände, und Kriss und ich sanken erleichtert zurück auf unsere Stühle. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie angespannt ich die ganze Zeit über gewesen war.
»Da sie anstrengende Tage hinter sich haben, haben wir beschlossen, auf größere Feierlichkeiten zu verzichten«, klinkte sich Silvia ein. »Je nachdem, wann sie in New Asia abgeflogen sind, treffen sie ohnehin nicht vor dem späten Abend ein.«
»Danke, Silvia«, sagte die Königin ein wenig ungeduldig. Also wirklich, wen interessierte das denn? »Bitte entschuldigen Sie, meine Damen, aber ich habe noch viel zu tun. Genießen Sie Ihren Nachtisch, und dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.« Damit drehte sie sich um und schwebte förmlich zur Tür hinaus.
Sekunden später verschwand auch Kriss. Wahrscheinlich wollte sie eine »Willkommen daheim«-Karte basteln.
Ich aß so schnell wie möglich auf und ging dann zurück nach oben. Als ich über den Flur zu meinem Zimmer kam, sah ich blonde Haare unter einer weißen Haube aufblitzen und den flatternden schwarzen Rock einer Zofentracht, der auf die Treppe auf der anderen Seite des Flurs zulief. Es war Lucy, und es hörte sich an, als ob sie weinte. Sie schien so bestrebt zu sein, sich unbemerkt davonzustehlen, dass ich beschloss, ihr nicht hinterherzurufen. Als ich in den kleinen Gang zu meinem Zimmer einbog, sah ich meine Tür weit offen stehen. Der Streit zwischen Anne und Mary drang bis in den Flur, so dass ich jedes Wort verstehen konnte.
»Warum bist du auch immer so streng mit ihr?«, fragte Mary anklagend.
»Was sollte ich ihr denn sonst sagen? Dass sie alles haben kann, was sie will?«, konterte Anne.
»Ja! Was würde es denn schon schaden, wenn du einfach mal sagst, dass du an sie glaubst?«
Was war hier los? War das der Grund, warum sie sich in letzter Zeit so distanziert zueinander verhalten hatten?
»Ihre Ziele sind zu hoch gesteckt!«, verteidigte sich Anne. »Es wäre nicht nett von mir, falsche Hoffnungen in ihr zu wecken.«
Marys Stimme triefte vor Sarkasmus. »Ach und alles andere, was du gesagt hast, war ja
so
nett. Wenn du mich fragst, bist du einfach nur verbittert!«
»Wie bitte?«, keifte Anne zurück.
»Du bist verbittert. Du kannst es nicht ertragen, dass sie näher an etwas dran ist, was du dir selbst wünschst!«, brüllte Mary. »Du hast immer auf Lucy herabgesehen, weil sie nicht so lange im Palast erzogen wurde wie du. Und auf mich bist du eifersüchtig gewesen, weil ich hier geboren wurde. Warum bist du nicht zufrieden mit dem, was du bist, statt auf ihr herumzutrampeln, nur damit du dich selbst besser fühlst?«
»Aber das wollte ich doch gar nicht!«, sagte Anne, dann versagte ihr die Stimme.
Ihr heftiges Schluchzen brachte Mary zum Schweigen. Mich hätte es auch verstummen lassen, denn dass Anne weinte, war ein Ding der Unmöglichkeit.
»Ist es denn so falsch, dass ich mir mehr wünsche als das hier?«, fragte Anne mit tränenerstickter Stimme. »Ich weiß, mein Einsatz ist eine Ehre für mich, und ich
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