Die Elite
Bank. »Sind Sie eigentlich glücklich?«, fragte ich geradeheraus.
»Wie bitte?«
»Nun ja, ich habe mich gefragt, ob es Ihnen gutgeht. In letzter Zeit schienen Sie irgendwie traurig zu sein.«
Sie senkte den Kopf. »Ist das so offensichtlich?«
»Ziemlich«, bestätigte ich, legte den Arm um sie und drückte sie an mich. Sie seufzte und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich war froh, dass sie in diesem Moment die unsichtbare Grenze zwischen uns vergaß.
»Haben Sie sich jemals etwas gewünscht, das Sie nicht haben konnten?«
Ich schnaubte. »Lucy, bevor ich hergekommen bin, war ich eine Fünf. Es gab so viele Dinge, die ich nicht haben konnte, dass man sie gar nicht zählen konnte.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich hänge hier im Palast fest und werde nie ein anderes Leben führen.«
Ich richtete mich auf und brachte sie dazu, mich anzusehen. »Lucy, ich möchte, dass Sie eines wissen. Sie können alles erreichen, was Sie sich wünschen, davon bin ich überzeugt. Denn Sie sind ein wunderbares Mädchen.«
Sie schenkte mir ein schwaches Lächeln. »Danke, Miss.«
Ich wusste, uns blieb nicht mehr viel Zeit, und wechselte das Thema. »Hören Sie, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Ob ich mich auf die anderen verlassen kann, weiß ich nicht, aber Ihnen vertraue ich.«
»Was immer Sie wollen«, erwiderte Lucy, und obwohl sie dabei verwirrt aussah, hatte ich den Eindruck, dass sie es ernst meinte.
Ich griff in eine der Schubladen und zog einen Brief hervor. »Könnten Sie den bitte Officer Leger geben?«
»Officer Leger?«
»Ja. Ich möchte mich bei ihm für seine Freundlichkeit bedanken und dachte, es wäre vielleicht nicht angemessen, wenn ich ihm den Brief persönlich gebe. Sie wissen schon.« Das war zwar eine schwache Ausrede, aber es war die einzige Möglichkeit, mich von Aspen zu verabschieden und ihm mein Verhalten zu erklären. Denn ich ging davon aus, dass ich nach dem heutigen Abend nicht mehr lange im Palast geduldet werden würde.
»In spätestens einer Stunde wird er den Brief haben«, versicherte mir Lucy eifrig.
»Danke.« Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich drängte sie mit aller Macht zurück. Ich hatte Angst, aber es gab so viele Gründe, dies hier durchzuziehen. Wir alle verdienten etwas Besseres. Meine Familie, Marlee und Carter, Aspen. Selbst meine Zofen hatten keine Zukunft, und das alles nur wegen Gregory Illeá. Falls mich der Mut verließ, würde ich bei meiner Präsentation einfach an sie alle denken.
Als ich schließlich für den
Bericht aus dem Capitol
das Studio betrat, hielt ich die Bücher und die Mappe mit meinem Plakat fest umklammert. Alles sah fast so aus wie immer – der König, die Königin und Maxon würden rechts neben der Tür platziert werden, die Elite saß auf den Stühlen links davon. Doch in der Mitte, wo üblicherweise ein Podest für die Reden des Königs oder ein paar Sessel für die Interviews standen, war nun Raum für unsere Präsentation geschaffen worden. Ich entdeckte ein Pult und meine Staffelei, aber auch eine Leinwand, auf der wohl jemand Dias zeigen würde. Das beeindruckte mich, und ich überlegte, wer von uns wohl die Mittel gehabt hatte, so etwas zu bewerkstelligen.
Ich ging hinüber zum letzten freien Platz – bedauerlicherweise neben Celeste –, setzte mich und hielt die Bücher auf dem Schoß fest. Auch Natalie hatte ein paar Bücher dabei. Elise saß da und las wieder und wieder in ihren Notizen, während Kriss an die Decke blickte und ihre Präsentation im Geiste noch einmal durchzugehen schien. Celeste überprüfte ihr Make-up.
Silvia war ebenfalls anwesend – was meist der Fall war, wenn wir über ein Thema diskutierten, auf das sie uns vorbereitet hatte. Im Gegensatz zu sonst wirkte sie jedoch völlig aufgelöst. Diese Präsentation war wahrscheinlich unsere bislang größte Herausforderung, und je nachdem, was für ein Bild wir abgaben, würde das auch auf sie zurückfallen.
Ich sog scharf die Luft ein, denn mir wurde plötzlich klar, dass ich bei meinem Vorhaben überhaupt nicht an Silvia gedacht hatte. Doch jetzt war es zu spät.
»Sie sehen wunderschön aus, meine Damen, absolut phantastisch«, sagte sie im Näherkommen. »Und da Sie nun vollzählig sind, möchte ich Ihnen ein paar Dinge erklären. Als Erstes wird der König einige Ankündigungen vornehmen. Im Anschluss wird Gavril zum Thema des heutigen Abends überleiten – zur Präsentation Ihrer Wohlfahrtsprojekte.«
Silvia, die sonst so
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