Die Elite
Antworten parat. Unter Zuhilfenahme von älteren Finanzberichten, die wir gelesen hatten, hatte sie sogar eine Möglichkeit entdeckt, einen Kredit aufzunehmen, um gleich mit der Arbeit beginnen zu können. Und sie hatte auch schon Ideen, wie sich das Programm im Anschluss weiter finanzieren ließ.
Als sie sich setzte, sah ich, wie Maxon sie anlächelte und ihr zunickte. Kriss wurde rot und betrachtete verlegen die Spitze an ihrem Kleid. Wenn man bedachte, wie vertraut er mit Celeste war, war es wirklich gemein von ihm, so mit ihr zu spielen. Aber ich würde mich nicht mehr einmischen. Sollte er doch tun, was er wollte.
Celestes Vorschlag war interessant, wenn auch ein wenig manipulativ. Sie plädierte für ein Grundeinkommen für die niedrigeren Kasten. Es sollte ein gestaffelter Betrag sein, der auf verschiedenen Bescheinigungen basierte. Um diese Bescheinigungen zu bekommen, hatten die Fünfer, Sechser und Siebener die Pflicht, zur Schule zu gehen, wofür sie bezahlen mussten, was wiederum hauptsächlich den Dreiern zugutekam, weil offiziell nur sie als Lehrer arbeiten durften. Da Celeste eine Zwei war, hatte sie keine Ahnung, wie viel die niedrigen Kasten arbeiten mussten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Keiner würde die Zeit haben, diese Bescheinigungen zu erwerben. Was letztlich bedeutete, dass sich das Einkommen nicht ändern würde. Oberflächlich betrachtet hörte sich ihr Vorschlag sehr sozial an, doch in der Praxis würde er auf keinen Fall funktionieren.
Celeste ging zurück zu ihrem Platz, und ich erhob mich zitternd. Einen kurzen Moment lang erwog ich, eine Ohnmacht vorzutäuschen. Doch dann besann ich mich darauf, dass das hier meine große Chance war. Ich hatte nur Angst vor dem, was dann folgen würde.
Ich stellte mein Plakat – ein Schaubild des Kastensystems – auf die Staffelei und legte meine Bücher in der richtigen Reihenfolge auf das Pult. Dann holte ich noch einmal tief Luft und umklammerte meine Kärtchen, doch als ich schließlich loslegte, merkte ich zu meiner Überraschung, dass ich sie überhaupt nicht brauchte.
»Guten Abend, Illeá. Meine Damen und Herren, ich spreche heute nicht als Mitglied der Elite zu Ihnen, auch nicht als Drei oder als Fünf, sondern als Bürgerin dieses Landes. Abhängig von Ihrer Kastenzugehörigkeit sind Ihre Erfahrungen mit unserem Land auf ganz bestimmte Weise geprägt. Jedenfalls gilt das für mich. Doch erst vor kurzem habe ich verstanden, wie weit meine Liebe zu Illeá wirklich gegangen ist.
Ich bin teilweise ohne Essen und Strom aufgewachsen. Und ich muss mit ansehen, wie Menschen, die ich liebe, ohne große Hoffnung auf Veränderung in Positionen verharren, die ihnen bei Geburt zugewiesen wurden. Ich erlebe täglich die Kluft zwischen mir und anderen – allein wegen meines Status als Fünf und ungeachtet der Tatsache, dass wir uns ansonsten gar nicht besonders voneinander unterscheiden.«
Ich blickte kurz hinüber zu den anderen Mädchen. »Und doch liebe ich unser Land.«
Ganz automatisch tauschte ich das Kärtchen aus, denn ich wusste, dass jetzt der große Knall kam. »Was ich vorschlage, wird nicht leicht sein. Vielleicht ist es sogar sehr schmerzhaft, aber ich glaube wirklich, dass das gesamte Königreich davon profitiert.«
Noch einmal holte ich tief Luft. »Ich bin der Meinung, wir sollten das Kastensystem abschaffen.«
Mehr als nur ein Aufkeuchen war im Studio zu hören, ich beschloss aber, das zu ignorieren.
»Ich weiß, es gab eine Zeit, in der die Einteilung in Kasten dabei half, unser im Aufbau befindliches Land und seine Gesellschaft zu strukturieren. Aber wir sind nicht länger dieses Land. Wir sind jetzt so viel mehr. Und es ist grausam, zuzulassen, dass völlig untalentierte Menschen weitreichende Privilegien genießen, und dabei gleichzeitig einer archaischen Struktur zuliebe diejenigen zu unterdrücken, die vielleicht die klügsten Köpfe der Welt sein könnten. Das hindert uns nur daran, so gut zu werden, wie wir eigentlich sein könnten.«
Ich erwähnte eine Umfrage aus einer von Celestes ausrangierten Zeitschriften, die durchgeführt wurde, nachdem wir im
Bericht
über eine freiwillige Armeezugehörigkeit diskutiert hatten. Fünfundsechzig Prozent der Bevölkerung hielten es für eine gute Idee. Warum verwehrte man den Leuten dann diese Aufstiegsmöglichkeit? Ich zitierte einen Bericht über die standardisierten Prüfungsverfahren an öffentlichen Schulen. Dem sehr tendenziös abgefassten Artikel zufolge
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