Die Elite
besonnene, disziplinierte, eiserne Silvia war total aus dem Häuschen. »Also, ich weiß, dass Sie sich gut vorbereitet haben«, sagte sie und ging dabei auf und ab. »Sie haben jeweils acht Minuten. Und wenn jemand danach eine Frage an Sie richten möchte, wird Gavril das moderieren. Bleiben Sie die ganze Zeit über aufmerksam und selbstbewusst. Das ganze Land blickt auf Sie! Wenn Sie den Faden verlieren, dann holen Sie tief Luft und reden einfach weiter. Sie werden das bestimmt großartig machen. Ach ja, Sie treten übrigens in der Reihenfolge auf, in der Sie sitzen, das heißt Lady Natalie als Erste und Lady America als Letzte. Viel Glück, meine Damen!«
Silvia eilte davon, um einige Dinge noch ein zweites oder drittes Mal zu überprüfen, und ich versuchte ruhig zu bleiben. Also als Letzte. Das war wahrscheinlich gut. Natalie hatte es als Erste mit Sicherheit schwerer. Ich blickte zu ihr hinüber und sah, wie ihr der Schweiß ausbrach. Es war bestimmt eine Qual für sie, sich so konzentrieren zu müssen. Und dann richtete ich meine Augen unwillkürlich auf Celeste. Sie wusste nicht, dass ich sie und Maxon beobachtet hatte, und ich fragte mich immer wieder, warum sie niemandem etwas davon erzählte. Weil sie es jedoch tunlichst für sich behielt, nahm ich an, dass es nicht das erste Stelldichein gewesen war. Und das machte es nicht gerade besser.
»Nervös?«, fragte ich und sah zu, wie sie an ihrem Fingernagel herumkratzte.
»Nein. Das Ganze ist doch bloß eine blöde Idee, die keinen wirklich interessiert. Aber zum Glück bin ich Model«, sagte sie und blickte mich an. »Also komme ich vor Publikum gut rüber.«
»Ja, im Posieren bist du wirklich eine Meisterin«, murmelte ich. Aber es dauerte einen Augenblick, bis sie die Beleidigung hinter meinen Worten erkannte. Schließlich verdrehte sie die Augen und blickte zur Seite.
Im selben Moment kamen der König und die Königin herein. Sie unterhielten sich flüsternd, und es machte den Eindruck, als ginge es um etwas sehr Wichtiges. Einen Augenblick später betrat Maxon das Studio. Auf dem Weg zu seinem Platz zupfte er an seiner Ärmelmanschette. In seinem Anzug wirkte er so unschuldig, so sauber. Doch inzwischen wusste ich es besser.
Er schaute mich an, und da ich mich nicht einschüchtern lassen und als Erste den Blick abwenden wollte, starrte ich zurück. Zögernd hob Maxon die Hand und zog sich am Ohrläppchen. Ich schüttelte langsam den Kopf, und meine Mimik machte ihm unmissverständlich klar, dass wir – wenn es nach mir ging – nie wieder miteinander sprechen würden.
Als die Präsentationen schließlich an der Reihe waren, drohte mein Magen zu rebellieren. Natalies Vortrag war kurz. Und sie schien ziemlich schlecht informiert zu sein. Sie verkündete, die Taten der Rebellen seien verabscheuungswürdig und falsch, und man sollte sie umgehend aus Illeá verbannen, um die Provinzen sicherer zu machen. Als sie fertig war, blickten wir sie alle nur stumm an. Wusste sie denn wirklich nicht, dass sämtliches Tun der Rebellen längst als illegal eingestuft worden war? Insbesondere die Königin wirkte äußerst betrübt, als Natalie sich wieder hingesetzt hatte.
Elise schlug ein Programm vor, bei dem Angehörige der höheren Kasten eine Art Brieffreundschaft mit Menschen aus New Asia aufnehmen sollten. Sie war der Ansicht, dass dies die Beziehung zwischen unseren beiden Ländern stärken und dazu beitragen würde, den Krieg zu beenden. Ich war mir nicht sicher, ob eine solche Maßnahme wirklich etwas nützte, aber es erinnerte Maxon und die Bevölkerung wieder einmal daran, warum Elise überhaupt noch hier war. Die Königin fragte, ob sie denn auch Menschen in New Asia kennen würde, die bereit wären, an so einem Programm teilzunehmen, und Elise versicherte ihr, dass dies der Fall sei.
Kriss’ Präsentation war weitaus spektakulärer. Sie wollte das öffentliche Schulsystem reformieren, was, wie ich wusste, für die Königin und Maxon ebenfalls eine Herzensangelegenheit darstellte. Als Tochter eines Professors hatte sie bestimmt schon ihr ganzes Leben darüber nachgedacht. Sie benutzte die Leinwand, um Fotos aus ihrer Heimatprovinz zu zeigen, die ihre Eltern ihr geschickt hatten. In den Gesichtern der abgebildeten Lehrer war deutlich ihre Erschöpfung zu erkennen, und auf einem Foto war ein Raum zu sehen, in dem vier Kinder auf dem Boden saßen, weil es nicht genug Stühle gab. Die Königin stellte jede Menge Fragen, und Kriss hatte schnell die
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