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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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schon seit zehn Jahren. Doch er weiß nie, wozu, außer in seltenen Zufällen, durch Anspielungen, aufgefangenes Lächeln. Ein Zerrspiegel, immer voll Nebel, dieses Lächeln der Kunden ...
    Weshalb wollen sie heute nacht ausgerechnet Rathenau? Was hat Cäsar seinem Protege wirklich zugeflüstert, als er fiel? Et tu, Brüte, die offizielle Lüge, ist genau von dem Kaliber, das man erwarten kann - sie sagt exakt nichts. Der Augenblick der Ermordung ist der Augenblick, da Macht und Unkenntnis von Macht zusammentreffen vor dem Tod als Notar. Wenn dann noch einer zu dem anderen etwas sagt, so sicher nicht, um die Zeit mit Ettu-Brutes zu verplempern. Was dann gesprochen wird, ist eine Wahrheit, die so schrecklich ist, daß die Geschichte (selbst ein Komplott, im besten Fall, nicht immer unter Ehrenmännern und mit kündbaren Regeln) sie niemals zugeben wird. Die Wahrheit wird entweder unterdrückt oder, in Epochen von besonderer Eleganz, als etwas anderes verkleidet werden. Was wird Rathenau, jenseits des Augenblicks, nach Jahren einer neuen Existenz auf der anderen Seite, über die alte Ordnung zu bemerken haben? Wahrscheinlich nichts, das so unglaublich wäre wie die Worte, die er gesprochen haben könnte, als der Schlag durch seine irdischen Nerven zuckte und der Engel in ihn einfiel ... Aber man wird ja sehen. Rathenau, so steht's in den Geschichtsbüchern, war der Verkünder und der Architekt des kartellisierten Staates. Aus einem Amt, das als winziges Büro im Kriegsministerium in Berlin begann, koordinierte er die deutsche Wirtschaft im Weltkrieg, lenkte die Rohstoffströme, diktierte Quoten und Preise, überschritt die Grenzen von Geheimhaltung und Eigentum und riß sie endlich nieder, die die Firmen zwischen sich aufgerichtet hatten - ein Bismarck der Korporationen, vor dessen Macht kein Kontenbuch privilegiert, keine Absprache zu vertraulich war. Sein Vater, Emil Rathenau, hatte die AEG begründet, die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, doch der junge Walther war mehr als nur irgendein Industriellenerbe, er war ein Philosoph mit einer Vision des Nachkriegsstaates. Er sah in diesem Weltkrieg eine Weltrevolution, aus der nicht der rote Kommunismus und nicht die ungehemmte Rechte als Sieger hervorgehen würden, sondern eine rationale Struktur,
    in der das Geschäft die wahre, die rechtmäßige Autorität darstellte - eine Struktur, die, wenig überraschend, auf dem basierte, was er in Deutschland aufgebaut hatte, um den Weltkrieg durchzufechten.
    Soweit die offizielle Version. Grandios genug. Doch Generaldirektor Smaragd und seine Kollegen sind nicht gekommen, um sich Dinge anzuhören, die selbst die
    Massen glauben. Man könnte hier - wäre man paranoid genug - fast ein Zusammenspiel vermuten, über die Mauer hinweg, zwischen Materie und Geist. Was ist es, das sie wissen und die Machtlosen nicht? Welche schreckliche Struktur, die sich hinter den Fassaden von Vielfalt und Marktwirtschaft verbirgt? Galgenhumor. Ein verdammtes Gesellschaftsspiel. Smaragd kann nicht im Ernst an so was glauben, Smaragd, der Techniker und Manager. Vielleicht will er nur Zeichen, Omen, Bestätigung von Tatsachen, die schon vollendet sind, etwas zum Kichern für den Herrenklub - "Sogar der Jude gibt uns seinen Segen!" Was immer heute durch das Medium hereinkommt, sie werden es sich redigieren und zu einem Segen biegen. Es ist Verachtung, in einem seltenen Grad.
    Leni findet eine Couch in einer stillen Ecke eines Zimmers, das voll ist von geschnitztem Elfenbein aus China und seidenen Wandbehängen. Sie legt sich hin, läßt ein Bein über die Kante baumeln, versucht, sich zu entspannen. Franz wird jetzt zurück sein vom Raketenflugplatz, wird unter der Glühbirne blinzeln, während ihm Frau Silberschlag von nebenan Lenis letzte Botschaft übergibt. Die Botschaften heut nacht, getragen von den Lichtern Berlins... Neon, Glühlicht, Sterne ... sie weben sich zu einem Netz von Daten, aus dem es kein Entrinnen gibt...
    "Der Weg ist vorgezeichnet", eine Stimme, die Sachsas Lippen, seinen starren, weißen Hals bewegt: "Ihr drüben seid gezwungen, ihn in der Zeit zu gehen, Schritt für Schritt. Von hier aus aber ist es möglich, seinen Verlauf ganz zu überblicken -noch nicht für mich, ich bin noch nicht soweit - doch vielen anderen ist er klar und gegenwärtig ... ist nicht genau das richtige Wort... Laßt mich aufrichtig zu euch sein. Es fällt mir immer schwerer, mich in euch hineinzudenken. Probleme, die ihr haben mögt, selbst mit

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