Die Enden der Parabel
Klicken hören, dem ein Klicken folgt. Minutenscheiben der Zeit werden Vergangenheit.
"Entweder ist es ansteckend, was du hast", beginnt Tantivy, "oder aber sie haben mich auch auf dem Kieker."
Sie starren einander an. Slothrop fällt ein, daß er hier außer Tantivy niemanden hat. "Erzähl mal."
"Wenn ich nur könnte. Er hat sich verändert - aber ich kann es mit nichts beweisen. Angefangen hat es... ich weiß nicht, wann. Im Herbst. Er spricht nicht mehr über Politik. Mein Gott, wie oft haben wir uns früher darüber gekabbelt. Er redet auch nicht mehr von seinen Plänen nach der Demobilisierung, und das hat er andauernd getan. Ich dachte zuerst, der hätte ihn etwas aus der Fassung gebracht... Aber seit gestern glaube ich, daß mehr dahintersteckt. Verdammt noch mal, es macht mich richtig traurig."
"Was ist passiert?"
"Oh, eine Art - nein, nicht einmal eine Drohung, jedenfalls keine ernsthafte. Ich hab im Spaß erwähnt, daß ich auf deine Katje scharf wäre, und da wurde Bloat plötzlich kühl und sagte:
Dann hat er versucht, mit einem Lachen drüber wegzugehen, so als ob er selber ein
Auge auf sie geworfen hätte. Aber das war's nicht. Er traut mir nicht mehr. Ich habe
das Gefühl, daß er mich nur noch benützt, aber ich weiß nicht, wozu. Ich werde
geduldet, solange ich gebraucht werde. Die alten Uni-Beziehungen. Ich weiß nicht,
ob du das in Harvard auch so empfunden hast ... in Oxford jedenfalls hab ich oft eine
ganz eigenartige Struktur gespürt, zu der sich niemand offen bekennen wollte, etwas,
das viel weiter reichte als die Turl Street und Cornmarket, in Verträge und Konten
und geheime Verpflichtungen rein ... man wußte nie, wer sie eines Tages einfordern
würde, oder wie oder wann ... Aber damals fand ich das nebensächlich, nur eine
Randerscheinung dessen, wozu ich eigentlich dort war, verstehst du..."
"Gewiß. In Amerika ist es das erste, was sie dir einbleuen. Harvard dient ganz
anderen Zwecken. Das Akademische ist nur 'ne Art Schauseite."
"Wir sind hier viel naiver, wie du siehst."
"Einige von euch vielleicht. Bloat nicht."
"Ich hoffe immer noch, daß es was anderes ist."
"Sicher. Aber was machen wir jetzt?"
"Oh, wenn du mich fragst - geh hin zu deiner Verabredung, aber sei vorsichtig! Halt mich auf dem laufenden. Vielleicht hab ich morgen zur Abwechslung auch mal ein
Abenteuer oder zwei zu erzählen. Und wenn du Hilfe brauchst", er zieht die Lippen breit und wird ein wenig rot, "tja, dann helfe ich dir eben."
"Danke, Tantivy." Herrgott im Himmel, ein britischer Alliierter! Yvonne und Francoise schauen um die Ecke, winken die beiden nach draußen. Es geht in den HimmlerSpielsaal zu Chemin-de-fer bis Mitternacht. Slothrop kommt mit Plus-minus-Null davon, Tantivy verliert, die Mädchen gewinnen. Von Bloat keine Spur, obwohl den ganzen Abend über Offiziere zu Dutzenden herein- und hinausströmen, braun und fern wie auf Kupferstichen. Auch seine Ghislaine ist nirgends zu sehen. Slothrop fragt, Yvonne zuckt die Achseln. "Mit eurem Freund aus? Keine Ahnung." Ghislaines langes Haar, ihre sonnengebräunten Arme, ihr lächelndes Sechsjährigen-Gesicht... Wenn sich herausstellt, daß sie etwas weiß - ist sie dann sicher? Um 23 Uhr 59 dreht sich Slothrop zu Tantivy um, nickt den beiden Mädchen zu, versucht ein lüsternes Lachen und boxt seinen Freund rasch und liebevoll in die Schulter. Genau der Schlag, mit dem der Football-Trainer in der Prep-School den kleinen Slothrop einst aufs Feld schickte, was ihm damals für mindestens fünfzig Sekunden Selbstvertrauen verliehen hatte, bis die Choate-Boys wie eine wilde Jagd mordlustiger Rhinozerosse über ihn hinweggedonnert waren und er auf seinem Arsch im Dreck lag...
"Viel Glück", erwidert Tantivy, meint's auch so und streckt die Hand schon nach dem süßen Chiffonhintern von Yvonne aus. Minuten der Ungewißheit, jaja, während Slothrop auf dem roten Läufer treppauf eilt (Willkommen Mister Slothrop, Willkommen In Unserer Struktur, Wir Hoffen, Daß Sie Ihren Aufenthalt Genießen Werden), vorbei an immergrünen Nymphen und Satyrn aus Malachit, die auf den Treppenabsätzen in der Jagd erstarrt sind, der nackt von oben baumelnden Glühbirne entgegen...
Vor ihrer Tür hält er noch einmal an, um sich zu kämmen. Jetzt trägt sie einen pelzverbrämten, reich mit Pailletten bestickten weißen Mantel mit wattierten Schultern und fransigen weißen Straußenfedern an Hals und Ärmeln. Der Stirnreif ist verschwunden. Im elektrischen Licht
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