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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Manche Militärs kommen einem dummdreist, während andere von so verwegenem Blut sind, daß sich die Frage des Zurückhaltens gar nicht stellt - sie sind erfüllt von einem positiven Irrsinn, der sie nicht nur mit Pferden gegen Kanonen reiten, sondern die Attacke auch noch selbst anführen läßt. Was zwar großartig ist, aber nicht der Krieg. Wartet die Ostfront ab. Schon mit seinem ersten Einsatz wird sich Tschitscherin seinen Ruf als selbstmörderischer Irrer schaffen. Von Finnland bis zum Schwarzen Meer werden deutsche Kommandeure gegen ihn die Abneigung von Gentlemen entwickeln, werden sich ernstlich fragen, ob dieser Mensch überhaupt einen Sinn für die militärischen Spielregeln besitzt, werden ihn gefangennehmen und fliehen sehen, ihn verwunden, ihn für im Kampf gefallen halten, und immer wird er weitermachen, Hals über Kopf, ein blindwütiger Schneemann in winterlichen Sümpfen -kein Windvorhalt, kein Wechsel des Visiers, kein tödliches Spitzgeschoß in den Läufen ihrer Parabellums wird je genügen, ihn zu fällen. Er begeistert sich, wie Lenin, für Napoleons on s'engage, et puls, on voit, und warum sollte ihm, für solche Kopfsprünge, nicht das Hotelzimmer dieses LG.-Vertreters als eine Art früher Probebühne gedient haben? Tschitscherin leidet an einem ausgesprochenen Talent, an unerwünschte Elemente zu geraten, Subrosa-Feinde des Regimes, menschliches Strandgut aus konterrevolutionären Strömungen: Er legt es nicht darauf an, es ergibt sich einfach - er ist ein gigantisches Makromolekül, dem ständig so viele freie Bindungen zur Verfügung stehen, daß sich im Lauf der Zeit... im Tanz der Zeit... wie auch immer... andere an ihm festmachen, und die Pharmakologie des derart modifizierten Tschitscherins, seine mittel- bis langfristigen Nebenwirkungen, sind keineswegs leicht vorherzusehen. Chu
    Piang, das chinesische Faktotum in der roten Jurte, kann ein Lied davon singen. Gleich am ersten Tag, als Tschitscherin sich zur Stelle meldete, wußte Chu Piang, was mit ihm los war - und stolperte sofort über seinen Schrubber, weniger, um die Aufmerksamkeit abzulenken, als um das Fest dieser Begegnung zu feiern. Chu Piang hat nämlich selbst ein oder zwei freie Bindungen zu vergeben. Er ist ein lebendes Denkmal für den Erfolg der englischen Handelspolitik im vergangenen Jahrhundert. Noch heute ist das klassische Gaunerstück berühmt für die kalte Klarheit, mit der es in Szene gesetzt wurde: Nimm Opium aus Indien, führe es in China ein - Hallo, Fong, darf ich dir Opium vorstellen, Opium, das ist Fong - ah, so, ich essen! - Neinneinnein, Fong, du rauchen, paff paff, rauchen, verstehn? Und hübsch bald kommt Fong zurück und will mehr und noch mehr, und schon hast du eine unelastische Nachfrage nach dem Stoff erzeugt, bringst China dazu, ihn zu verbieten, und hängst dem Land im Handumdrehn zwei, drei mörderische Kriege an, um das Recht deiner Kaufleute, ein heiliges Recht mittlerweile, auf den Handel mit Opium zu verteidigen. Du gewinnst, China verliert. Phantastisch. Zu Chu Piang, der ein Denkmal ist für all das, kommen heute ganze Touristenkarawanen, um ihn zu besichtigen, wenn er Unter Dem Einfluß steht... "Und hier, meine Damen und Herren, wie Sie vielleicht selber sehen, die charakteristische, stumpfgraue Färbung der Haut." Sie stehen vor ihm und glotzen in sein traumüberflutetes Gesicht, aufmerksame Männer mit Backenbärten und perlgrauen Vormittagshüten in den Händen, Frauen, die ängstlich ihre Rocksäume vom Boden heben, wo gräßliches asiatisches Gewürm mikroskopisch über die alten Bretter wimmelt, während der Reiseleiter die Punkte von besonderer Sehenswürdigkeit, mit einem metallenen Zeigestab andeutet, einem bemerkenswert schlanken Instrument, dünner sogar als ein Rapier, das oft schneller durch die Luft blitzt, als die Augen zu folgen vermögen -"Sein Verlangen, Sie sehen es gleich selbst, behält seine Form unter allen äußeren Belastungen bei. Keine körperliche Krankheit, kein Versorgungsengpaß scheint es im geringsten beeinflussen zu können ..." Sanft wie Klavierakkorde aus einem vorstädtischen Salon starren ihre milden, seichten Blicke... das unelastische Verlangen bringt die abgestandene Luft zum Leuchten, verzaubert sie zu einem Barren von unschätzbarem Wert, aus dem noch Münzen geschlagen und mit den Gesichtern großer Regierender graviert in Umlauf gebracht werden können, um zu verkünden ... Allein dieses Leuchten zu sehen war die Reise wert, die lange Fahrt

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