Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
gedrehter Ziegenhaut und die Frauen, die hinter seinen Reitern wimmernd vor Vergnügen mitgeritten waren auf kaukasische Vorgebirge, von Lust und Sturm vorangetrieben über Streifen noch der unsichtbarsten Wege ... nur Reste noch, verstreut jetzt in der Spur, die über diese letzte Steppe führt: Schatten, die verdunsten und sich zwischen den Fasanen auflösen in Nichts und Ruhe. Der Bewegungsimpuls wächst an, während die beiden Reiter vorwärts stürmen. Der Geruch nach nächtlichen Wäldern beginnt sich zu verlieren. Draußen im Sonnenlicht, das ihnen noch nicht gehört, wartet es auf sie, das ... Wartet auf sie ein noch nicht gedachtes Wesen aus schierer
    Größe und aus Flammen...... selbst jetzt noch, in ihren Erwachsenenträumen,
    kommt zur ängstlichen Galina der geflügelte Reiter, der Rote Schütze von den Revolutionsplakaten ihrer Kindheit. Fern vom Lärm, vom Schnee, von den aufgerissenen Straßen kauert sie hier im asiatischen Staub und reckt ihren Hintern in den Himmel, wartet auf seine erste Berührung ... damit... stählerne Hufe, Zähne, ein pfeifender Federschlag über ihr Rückgrat... das klingende Erz eines Reiterstandbilds auf einem Platz und ihr Gesicht, gepreßt in die seismische Erde ... "Er ist Soldat", Luba meint einfach Tschitscherin, "und weit weg von zu Hause." In den wilden Osten versetzt und bisher hier geblieben, ruhig und ausdruckslos und offensichtlich unter einem offiziellen Bannfluch. Die Gerüchte darüber sind so extravagant wie dieses Land hier lustlos. Die unteren Dienstgrade im Gemeinschaftsraum sprechen von einer Frau: einer staunenswerten sowjetischen Kurtisane, die weißes Kitzleder auf dem Körper trug und sich ihre wundervollen Beine jeden Morgen bis hinauf zum Nabel rasierte. Die pferdefickende Katharina, hermelinverhüllt und strahlend, auferstanden im Stil der Zeit. Ihre Liebhaber reichten von Ministern bis hinab zu Rängen wie Hauptmann Tschitscherin, die ihr natürlich am ergebensten waren. Während Neo-Potjomkins die Weite der Arktis für sie ausbeuteten, geschickte und technokratische Wölfe in den Tundren Siedlungen aus dem Boden stampften, städtische Abstraktionen, geboren aus Eis und Schnee, weilte der kühne Tschitscherin in der Hauptstadt, versteckt in ihrer Datscha, wo sie Fischersmann und Fisch zusammen spielten, Terrorist und Staat, Forscher und Rand der wellengrünen Welt. Als sie endlich offizielle Aufmerksamkeiten auf sich zogen, bedeutete das für Tschitscherin nicht den Tod, noch nicht einmal das Exil - aber doch eine gewisse Ausdünnung seiner Karrierechancen: so verliefen die Vektoren nun einmal in jenen Tagen. Zentralasien für den größten Teil seiner Mannesjahre oder Attache an einem Ort wie Costa Rica (und er hofft noch immer, daß es eines Tages Costa Rica sein wird - eine Erlösung aus diesem Fegefeuer, hinein in schäumende Brandung und grüne Nächte - wie sehr er das Meer vermißt, von Augen träumt, die dunkel wären und feucht wie seine eigenen, koloniale Augen, die von Baikonen aus verwitterndem Mauerwerk auf ihn herunterstarrten...).
    Ein anderes Gerücht erzählt unterdessen von seinen Verbindungen zum legendären Wimpe, dem Leiter der Vertretung der Ostarzneikunde GmbH, einer Tochtergesellschaft der I.G. Da allgemein bekannt ist, daß die Vertreter der I.G. im Ausland in Wahrheit deutsche Spione sind, die von einer Dienststelle namens "NW 7" in Berlin aus geführt werden, fällt es einigermaßen schwer, diese Geschichte über Tschitscherin zu glauben. Wäre sie wörtlich wahr, gäbe es keinen Tschitscherin mehr-kein Weg ist denkbar, der ihn dann noch einem solchen somnambulen Leben in den Garnisonsstädten des Ostens erhalten hätte.
    Natürlich konnte er Wimpe gekannt haben. Ihre Lebenswege kamen sich in Raum und Zeit für eine Weile nahe genug dafür. Wimpe war ein Verbindungsmann von klassischem Zuschnitt, auch mit einem Schuß von ungesundem Enthusiasmus: charmant, gutaussehend auf eine Weise, die man als terrassierte Strenge wahrnahm, freundliche graue Augen, eine senkrechte Granitnase, ein Mund, der niemals zuckte, und ein Kinn, das zu keinerlei Phantasie fähig schien ... dunkle Anzüge, makellose Ledergürtel und silberne Manschettenknöpfe, Schuhe aus
    Pferdeleder, die unter den Oberlichtern von zaristischen Foyers ebenso glänzten wie auf sowjetischem Beton, immer modisch, für gewöhnlich korrekt, ein informierter und leidenschaftlicher Kenner der organischen Chemie, die sein Spezialgebiet war und auch, so sagte man ihm

Weitere Kostenlose Bücher