Die Enden der Parabel
über die gefrorene Steppe in einem riesigen, geschlossenen Schlitten, groß wie ein Fährschiff und überprunkt mit viktorianischem Dekor- an Bord gibt es Decks und Ebenen für verschiedene Klassen von Passagieren, samtene Foyers, wohlgefüllte Kombüsen, einen jungen Dr. Maledetto, den alle Damen lieben, eine elegante Speisekarte, die von Mille-Feuilles a la Fondue de la Cervelle bis zu La Surprise du Vesuve jeden Gaumen zu kitzeln weiß, reichausgestattete Gemächer mit Stereoskopen und zugehöriger Diathek, Toiletten aus tief rot poliertem Eichenholz, verziert mit handgeschnitzten Meerjungfrauengesichtern, Akanthus-Ornamenten, Nachmittags- und Gartenformen, die den Betrachter an die Heimat erinnern sollen, wenn er den Trost am nötigsten hat - erhitzte Innenräume, die so prekär in Schwebe bleiben über der halsbrecherischen Flucht von kristallinem Eis und Schnee, die unter den Aussichtsplattformen vorübergleitet, ein Panorama aus bleichem Horizont, den rollenden Schneefeldern Asiens und Himmeln von Metall, das bei weitem nicht so kostbar ist wie jenes, das zu sehen wir gekommen sind...
Auch Chu Piang beobachtet, wie sie da kommen und glotzen und gehen. Sie sind Gestalten in Träumen. Sie amüsieren ihn. Sie gehören zum Opium: niemals kommen sie, wenn er etwas anderes nimmt. Das Haschisch von hier versucht er möglichst nicht zu rauchen, soweit es nicht die Höflichkeit gebietet. Die klumpige, harzige turkestanische Phantasmagorie mag gut genug sein für russische, kirgisische und andere barbarische Geschmäcker, doch Chu gebt stets nur von den Tränen des Mohns. Ihre Träume sind besser, nicht so geometrisch, nicht darauf aus, die ganze Welt, Luft und Himmel, in einen Perserteppich zu verwandeln. Chu zieht Situationen vor, Reisen und Komödienspiel, und den gleichen Appetit findet er auch bei Tschitscherin: Dieser stämmige, südäugige Gesandte aus Moskau, dieser ausgehaltene Sowjetverbannte brächte jedermann dazu, über den Schrubber zu stolpern, damit die Seifenlauge über den Boden zischt und der Eimer sein blechernes Erstaunen scheppert. Vor Entzücken!
Es dauert nicht lange, und man sieht die beiden verlorenen Seelen heimlich zu einem Treffpunkt am Stadtrand schleichen. Ein lokaler Skandal. Aus einer unvermutbaren Tasche in den verdreckten Lumpen, die von seinem ungesunden gelben Körper hängen, produziert Chu einen widerlichen schwarzen Klumpen der faulig riechenden Substanz, der in einen Fetzen einer alten Enbeksi Qazag vom 17. August des Vorjahrs eingewickelt ist. Tschitscherin steuert die Pfeife bei - als Mann des Westens ist er für den technologischen Aspekt der Sache zuständig -, ein verkratztes, unschönes Utensil mit rotgelb repetierten Mustern auf Britanniametall, für eine Handvoll Kopeken gebraucht erstanden im Aussätzigenviertel von Buchara, wo sie, ganz recht, auch schon vorzüglich eingeraucht worden ist. Hauptmann Tschitscherin, der Verwegene. Die beiden Opiomanen verkriechen sich hinter einem
Mauerrest, der schräg und halb geborsten vom letzten Beben kündet. Von Zeit zu Zeit kommen Reiter vorbei, manche bemerken die beiden, andere nicht, doch alles in völliger Stille. Über ihren Köpfen drängen sich die Sterne am Himmel. Weit hinaus in das Land neigen sich die Gräser, und Wellen laufen hindurch, langsam wie eine Schafherde. Es ist ein milder Wind, der den letzten Rauch des Tages mit sich bringt, die Gerüche von Tieren und Jasmin, von stehendem Wasser, sich setzendem Staub ... ein Wind, an den sich Tschitscherin niemals erinnern wird. Genausowenig wie er jetzt dieses rohe Chaos aus vierzig Alkaloiden mit den geschliffenen, facettierten, polierten und glanzbeschichteten Molekülen in Verbindung bringen kann, die ihm dieser Vertreter namens Wimpe mal gezeigt hat, Stück für Stück und mit Geschichten...
"Oneirin und Methoneirin. Ableitungen, die Laszlo Jamf vor zwei Jahren im Organ der American Chemical Society vorgestellt hat. Jamf war wieder einmal nach Amerika verliehen, diesmal als Chemiker, um in einem umfangreichen Programm des National Research Council zur Erforschung der Morphin-Moleküle und ihrer Möglichkeiten mitzuwirken - einem Zehnjahresplan, der zeitlich ganz merkwürdig mit der klassischen Phase der Makromolekülforschung zusammenfiel, die Carothers, der Große Synthetiker, bei Du Pont vorantrieb. Ein Zusammenhang? Natürlich gibt es einen. Aber wir sprechen nicht darüber. NRC synthetisiert fast jeden Tag ein neues Molekül, die meisten davon aus Elementen
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